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Archiv-Artikel

Reich und glücklich mit Gevatter Tod

Investieren auch Sie endlich einmal ihr Geld in eine todsichere Sache und setzen Sie auf den ultimativen Exitus-Termin

Die todsichere Kapitalanlage, wer begehrte sie nicht in Zeiten monströser Absturzorgien, unter denen insbesondere Aktien und Wertpapiere leiden? Gerade jetzt im herbstwinterlichen Depressionseinerlei täte es der ramponierten Psyche gut, wenn wenigstens das Geld in fürsorglicher Obhut wäre.

Denen, die so denken und fühlen, kann geholfen werden. Denn nun gibt es auch in Deutschland lukrative Angebote, die so sicher sind wie das Amen in der Kirche, weil sie auf sozusagen naturgesetzliche Weise Zinsen bringen.

Wer sein Geld zum Beispiel im „BVT Life Bond Fund“ investiert, kauft in den USA Risiko-Lebensversicherungen auf mit Restlaufzeiten zwischen zwei und acht Jahren. Die versicherte Person bleibt dieselbe, die Prämien zahlt jedoch der Fonds weiter, wird dadurch Begünstigter der Police. Das Wort Restlaufzeit meint die verbleibende Lebensspanne des Versicherten, der dann vom Netz geht und abgeschaltet wird. Das gemeinhin Tod genannte Ereignis steht nämlich unausweichlich im Zentrum des spekulativen Engagements, doch es ist zum Glück der Tod anderer, der in diesem Zusammenhang der „versicherungsmathematisch errechnete Auszahlungszeitpunkt“ heißt. Simpler ausgedrückt: Je früher der Versicherte stirbt, umso höher die Rendite.

Der Prospekt des Fonds stellt „ein hervorragendes Risiko/Rendite-Verhältnis“ in Aussicht, satte zehn Prozent und mehr. Verlockend aber auch die hohe „Steuer-Attraktivität“, denn die Erträge sind weitgehend von Steuern freigestellt, auch von der Erbschaftssteuer. Wo würde das besser passen als hier?

Nur fundamentalistische Bibelkreise würden bei diesem Investitionsmodell moralische Bedenken anmahnen. Ist es nicht so, dass alle Beteiligten profitieren? Die einen kurz-, die anderen eben langfristig. Würde der Versicherte nämlich seinen Vertrag kündigen, bekäme er nichts ausgezahlt. Also verscherbelt er das Stück an die Fondsgesellschaft. Die wiederum will verständlicherweise wissen, in welchem Zeitraum der Versicherte das Zeitliche segnet. Erst dann wird das Geld ausgezahlt. Deshalb das Gesundheitsattest, das durch ein „unabhängiges medizinisches Institut“ erstellt wird. Mithilfe dieser Daten errechnen Versicherungsmathematiker jenen statistisch wahrscheinlichen Auszahlungszeitpunkt. Je näher der erwartete Todestag liegt, umso mehr bekommt auch der Verkäufer, logisch.

Ein Risiko besteht freilich darin, dass der Geprüfte auf die Wahrscheinlichkeitsrechnung pfeift und über den prognostizierten Exitus-Termin hinaus weiterlebt. Sogar auf die zahlreicher werdenden Bettelanrufe besorgter Anleger reagiert er widerborstig, will partout nicht in die Kiste unter die Erde.

Wer am Ende dieser Geschichte einer bizarren Geschäftsidee nichts sehnlicher wünscht als ein tröstliches, dem kann eventuell geholfen werden mit der Erinnerung an Madame Jeanne Calment. Sie war 90 Jahre alt, als sie 1965 ihre Wohnung an den Rechtsanwalt Raffray verkaufte. Als Preis hatten die beiden eine monatlich fällige Leibrente vereinbart. Monsieur Raffray aber wartete vergeblich auf ihren Tod, ganze 30 Jahre lang, und starb am ersten Weihnachtstag 1995 im Alter von 77 Jahren. Bis zum letzten Atemzug hatte er für die Wohnung gezahlt, in die er nie eingezogen war, weil Jeanne Calment, die Vorbesitzerin, immer noch lebte. 120 Jahre war sie mittlerweile alt und laut dem Guinness-Buch der älteste Mensch der Welt. Die Witwe des Anwalts Raffray musste bis zum 4. August 1997 die Apanage weiter zahlen. An diesem Tag starb Madame Calment; blind, fast taub, angewiesen auf einen Rollstuhl. An ihrem 120. Geburtstag soll sie gesagt haben: „Im Leben macht man manchmal schlechte Geschäfte.“ Ein respektvolles Schmunzeln flog über das Gesicht von Gevatter Tod, als er das hörte. DIETRICH ZUR NEDDEN