: WIR: HIER
Interview mit Sarah Schmidt
taz: Sarah Schmidt, bei Deinem Fortsetzungsroman WIR:HIER, dessen letztes Kapitel bei uns in der letzten Woche erschienen ist, handelt es sich um einen Jugendroman – wie kam es zu der Entscheidung?
Sarah Schmidt: Das war eine Vorgabe der taz. Ich hatte mich noch nie mit der Idee beschäftigt, etwas für Jugendliche zu schreiben, empfand es aber als eine Herausforderung. Trotzdem musste ich etwas grübeln und Recherche betreiben, indem ich ehemalige Jugendliche – den Sohn und seine Freundin – ausquetschte, was sie als Teenager gerne gelesen hätten. Was Spannendes, was Verbotenes, was ihnen etwas über die Stadt erzählt, ohne allzu pädagogisch daherzukommen. Als ich fragte, ob Tunnel diese Vorgaben erfüllen würden, bekamen sie leuchtende Augen, obwohl sie längst keine Jugendlichen mehr sind. Also sagte ich zu.
Was hat dich an der Geschichte der Tunnel interessiert?
Diese „zweite Stadt“ unter Berlin hat mich schon immer fasziniert. Der Untergrund Berlins erzählt vieles, aber er tut es auf eine feine, unaufdringliche Art. Was er nicht ohne weiteres preisgibt, kann man sich ausdenken. Die wahre Geschichte der Flutung vom Anhalter Bahnhof im Mai 1945 als eine der letzten Kriegshandlung hatte ich schon lange im Hinterkopf. Wer genau dafür verantwortlich war, ist bis heute nicht völlig geklärt, ebenso wie viele Menschen dabei ums Leben kamen. Die musste in WIR:HIER vorkommen, das war schnell entschieden. Eine große Inspiration war auch das Buch „Dunkle Welten“ über Bunker, Tunnel und Gewölbe unter Berlin mit großartigen Fotos aus dem Ch. Links Verlag, das ich hier mal empfehle.
Berlin-Romane spielen ja gerne an den bekannten, schon von der Tourismuswirtschaft erschlossenen Orten. Aber der Anhalter Bahnhof und der Innsbrucker Platz – die Eckpunkte, zwischen denen sich die Band „Goldstück“ in den vergangenen Monaten bewegten – sind eher abseitige Winkel der Stadt.
Beide Plätze sind seltsame Twilight-Zonen. Der Innsbrucker Platz verkörpert die 70er Jahre von Westberlin. Der damalige Senat spuckte in die Hände voller Subventionen, es wurde mit Westberliner Gigantomanie gebaut. Man sieht den Wahnsinn und die Menschenfeindlichkeit des damaligen Konzepts „Autogerechte Stadt“ (zu dem u.a. auch eine Autobahn durchs Kottbusser Tor gehörte) am Innsbrucker. Ein hässliches Mahnmal. Mit einem Geheimnis, den „vergessenen“ Geister-U-Bahnhof. Kein Touristenführer hat den Innsbrucker in seinem Programm. Großartig. Zum Anhalter Bahnhof kommen Besucher, aber da es außer der Ruine kaum etwas zu sehen gibt, schlendern sie weiter. Eine merkwürdige Brache im Herz der Stadt mit viel Geschichte und wenig Gegenwart. Zwischen der größtenteils abgerissenen Post und den verrammelten Räumen der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“, zwischen der „Gleiswildnis“ mit Hochbunker und dem Excelsior-Hochhaus ist viel Leere. Stille. Platz. Für meine Goldstücke.
In diesen Zeitraum fiel ja auch der Jahrestag der Kapitulation Deutschlands. Hat dies deine Entscheidung für diese Orte beeinflusst?
Das „meine“ Orte, nachdem sie lange von niemandem beachtet wurden, wegen der 70-Jahre-Kriegsende-Feierlichkeiten in den Zeitungen standen, war interessant für mich – ich hatte das aber nicht eingeplant.
War die Recherche über diese Orte in den letzten Kriegstagen schwierig?
Die größten Schwierigkeiten ergaben sich für mich überraschenderweise an einem anderen Punkt: bei der Geschichte mit Cems Vater …
… der in einem türkischen Gefängnis fest gehalten wurde, weil er als junger Mann seinen Militärdienst dort nicht absolviert hatte und sich nun auslösen lassen musste.
Richtig. Ich wollte das im Roman erzählen, um die Frage, wie das jetzt genau mit dem Militärdienst für in Deutschland lebende Türken ist, zu klären – und das Problem bekannter zu machen. Zunächst interessierte mich der juristische Aspekt. Es ist verrückt, die Höhe der Zahlungen ändert sich dauernd, je nach Alter der Männer, die nicht zum Militär wollen. Es ist sehr verworren, die Zahlungen schwanken zwischen 5000 und 10.000 Euro. Wie regeln die Familien das bloß? Ich wusste es ja nur so ungefähr. Auf meine schriftlichen Anfragen bei mehreren türkischen Vereinen erhielt ich nicht eine einzige Antwort. Also versuchte ich es über Anwälte. Der Kollege von der Kollegin des Kollegen wusste es dann halbwegs. Vielen Dank!
Wird es Wir:Hier als Romanfassung geben? Oder vielleicht eine Fortsetzung?
Ich habe tatsächlich eine längere Romanfassung geschrieben, die meine Agentur den Verlagen anbietet. Noch ist nichts entschieden, aber auch wenn es nicht klappen sollte: es war eine Freude, für die taz an diesem Roman zu arbeiten. Und gleichzeitig unglaublich traurig, denn in dieser Zeit ist Meike Jansen, das Herz vom tazplan, viel zu jung gestorben. Am meisten Spaß, neben dem Schreiben hat übrigens das Ausdenken der Straßennamen im fiktiven Berlinplan von Katharina Greve gemacht. Meine Lieblingsstraße ist und bleibt die Raucherecke. Und in die verdrück ich mich jetzt.
Sarah Schmidt, publizierte bereits diverse Bücher und ist in zahlreichen Anthologien vertreten. Ihr aktueller Roman: „Eine Tonne für Frau Scholz“ ist im Verbrecher Verlag erschienen und in der Hotlist der 10 besten Bücher aus unabhängigen Verlagen 2014. Für die taz schreibt sie den Fortsetzungsroman WIR:HIER www.sarah-schmidt.de