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Archiv-Artikel

„Ein Vorbild für Menschenwürde“

BOTSCHAFT Innenminister Thomas de Maizière über die gesellschaftliche Bedeutung des Sports und die besondere Rolle, die der Frauenfußball dabei spielen kann

Thomas de Maizière

■ Der CDU-Politiker, Jahrgang 1954, ist als Bundesinnenminister nicht nur für Fragen der Sicherheit und die Geflüchtetenproblematik zuständig. Er ist auch Sportminister und verantwortet als solcher die Spitzensportförderung. Am Dienstag besucht er das Festival von Discover Football und wird ein Grußwort an die Teilnehmerinnen und Organisatorinnen richten.

INTERVIEW INES POHL UND ANDREAS RÜTTENAUER

taz: Herr de Maizière, wie haben Sie die Weltmeisterschaft bislang verfolgt?

Thomas de Maizière: Bisher leider nur im Fernsehen, weil ich es nicht geschafft habe, nach Kanada zu reisen. Ich freue mich, dass die Weltmeisterschaft für die deutsche Mannschaft sehr gut läuft. Besonders gefallen hat mir, dass am Anfang trotz der klaren Siege gegen schwächere Mannschaften eine ziemlich kritische Analyse des eigenen Spiels stattgefunden hat. Das zeigt, wie motiviert Mannschaft und Trainerin sind.

Beim Frauenfußball schwingt das Thema Gleichstellung immer mit. Haben Sie vor dem Hintergrund auch die Rasendebatte in Kanada verfolgt?

Nein, und ich weiß auch nicht genau, warum auf Kunstrasen gespielt wird, die Männer spielen schließlich auf Rasen. Und der Kunstrasen führt ja offenbar auch schneller zu Verbrennungen. Ich persönlich finde es jedenfalls schöner auf Rasen.

Welche Rolle kann denn der Sport und besonders der Frauenfußball in der Gleichstellungsdebatte spielen?

Vor fünf oder zehn Jahren war man der Ansicht, dass auch über den Frauenfußball gezeigt werden kann, dass Frauen genauso gut sind wie Männer. Aber: Ist das nicht eine Frage der Vergangenheit? Inzwischen ist doch längst klar, dass da erstklassiger Fußball gespielt wird. Die Frauen haben den Männern sogar einiges vorgemacht, wie wir gesehen haben. Was noch fehlt, sind volle Zuschauertribünen. Einen großen Teil des Weges für die Gleichstellung haben wir zurückgelegt.

Also braucht man den Sport gar nicht als gesellschaftlichen Motor?

Doch, der Sport generell ist gesellschaftlicher Motor für die Auseinandersetzung mit dem Leistungsbegriff und dem Team-Gedanken. Man braucht ihn für die Frage der Fairness und auch dafür, dass Regelverstöße vorkommen und geahndet werden und dass die Entscheidung eines Schiedsrichters, auch wenn man sie ungerecht findet, akzeptiert wird. Das sind alles sozusagen „Motoren“ für unser gesellschaftliches Miteinander, die weit über den Sport hinausstrahlen.

Und das ist auch die Grundlage der Spitzensportförderung aus Ihrem Hause?

Ja, wir sollten den Lesern vielleicht kurz sagen, dass der Frauen- und Männerfußball nicht durch das Bundesinnenministerium gefördert wird. Aber generell gilt: Die Spitzensportförderung ist auch Ausdruck der nationalen Repräsentanz eines Landes. Wir sind stolz darauf, wenn deutsche Sportler für sich und für Deutschland gute Leistungen erzielen. Auch die Vorbildfunktion des Sports für junge Menschen ist enorm wichtig.

Also, ein bisschen mehr als reines National-Marketing?

Ich nenne es nicht National-Marketing. Aber ein friedlicher Wettbewerb zwischen Nationen beim Sport ist ja uralt und schon vom olympischen Gedanken geprägt. Wenn darüber hinaus Tugenden eine Rolle spielen wie Teamgeist, Fairness, gewinnen können, verlieren können, eingewechselt werden, ausgewechselt werden, Verantwortung übernehmen, dann ist das etwas Gutes. Der Sport vermittelt auch wichtige kollektive Gemeinschaftserlebnisse, auch für unsere Nation.

Gleichwohl, Herr Minister, hat man doch immer noch den Eindruck, dass der Fußball nach wie vor ein Hort der Homophobie ist in einer Gesellschaft, die eigentlich immer offener wird.

Ja, vielleicht sogar mehr bei den Männern als bei den Frauen. Herr Hitzlsperger hat ja vor einiger Zeit einen mutigen Schritt gemacht. Aber er war wiederum so spektakulär, dass sich vielleicht andere scheuen könnten, dem nachzufolgen.

Wie sollte sich der Sport positionieren, wenn Großveranstaltungen in Ländern stattfinden, in denen Schwule und Lesben diskriminiert werden?

Die Themen Menschenwürde im Allgemeinen und auch Gleichberechtigung im Besonderen spielen auch im Frauenfußball eine Rolle. Ich besuche morgen das Discover-Football-Festival, das ja auch der Anlass für dieses Gespräch ist, glaube ich ….

So ist es.

Wenn beispielsweise arabische oder afghanische Frauen Fußball spielen, dann ist das einfach ein wunderbares Vorbild für Menschenwürde, für Menschenrechte und natürlich auch für Geschlechtergerechtigkeit. Das ist die Hauptbotschaft. Was jetzt die Frage gleichgeschlechtlicher Lebensverhältnisse angeht, so ist das bei uns längst Normalität geworden und sollte nicht Gegenstand von Kritik oder Hervorhebung sein. In Staaten, in denen das jedoch anders ist, muss man zeigen, dass man mit einer selbstverständlichen Gleichberechtigung und Anerkennung besser fährt als mit jeder Form von offener oder versteckter Diskriminierung.

Ist ein Männer-Verband wie der DFB überhaupt in der Lage, dem Frauenfußball das nötige Gewicht zu verleihen?

Ja, ich denke schon. Der Frauenfußball, gerade in Deutschland, hat eine stürmische Entwicklung gemacht und durch tolle Erfolge auf sich aufmerksam gemacht. Aber zur Frage der inneren Repräsentanz im Präsidium sollte sich der DFB selber äußern. Der braucht dazu keine Belehrungen in Interviews vom Sportminister.

Sie wollen also keinen eigenen Verband für Frauenfußball fordern in der taz? Hätten wir uns drüber gefreut.

Nein, denn ich bin immer für Inklusion. Das gilt auch für den organisierten Sport. Ich bin zum Beispiel auch nicht sicher, ob die Trennung in Paralympics und Olympische Spiele auf Dauer der richtige Weg ist – Inklusion ist was anderes

Welche Rolle kann der Sport denn bei der Integration von Geflüchteten spielen?

Die integrative Kraft des Sports ist nicht zu unterschätzen. Das fängt damit an, dass alle die gleichen Sachen tragen. Wer teure oder billige Klamotten hat, spielt keine Rolle. Das ist extrem wichtig. Bei Mannschaftssportarten gibt es keine Aufstellung nach Sozialschichten. Auch das ist ein entscheidender Punkt. Vor etlichen Jahren gab es beispielsweise rein türkische Mannschaften, damals hat man das als Integration verstanden. Diese homogenen Mannschaften sind mittlerweile fast alle verschwunden. Jetzt gibt es Teams, bei denen es nicht darauf ankommt, aus welchem Land man stammt oder welche Staatsbürgerschaft man hat – außer natürlich bei der Nationalmannschaft. Ein Aspekt, der oft vergessen wird: Gerade bei der Flüchtlingsfrage ist der Sport sehr wichtig. Deswegen fördern wir jetzt auch Vereine, die mit Asylbewerbern und Flüchtlingen Sport treiben. Stichwort ist hier: Integration durch Sport.

Und doch ist es immer noch schwer, Geflüchtete auch in den regulären Spielbetrieb zu integrieren.

Auch hier wie sonst muss man unterscheiden zwischen denjenigen, die eine Bleibeperspektive haben, und denjenigen, die keine haben. Bei denen mit längerer Bleibeperspektive, auch mit Duldungen, wäre zu überlegen, Spielberechtigungen auch für die laufende Saison auszusprechen. Das liegt in der Verantwortung des Sports. Bei den anderen dagegen nicht.

Auch die Fifa spricht gern von Fairness und gesellschaftlicher Verantwortung. Wann haben Sie denn aufgehört, der Fifa das abzunehmen?

Die Frage ist gut gestellt. Aber ich werde sie auf meine Weise beantworten. Ich hoffe, dass jetzt durch den angekündigten Rücktritt von Herrn Blatter wirklich ein Reformprozess in Gang gekommen ist, der über Personalfragen hinaus zu strukturellen Veränderungen führt.

Herr Minister, noch eine Frage zum Abschluss: Wer wird Weltmeisterin? Ich hoffe, dass Deutschland ins Finale kommt, und dann gibt es auch eine Chance, dass sie Weltmeister werden. Ich drücke auf jeden Fall fest die Daumen! Vielen Dank! Wissen Sie eigentlich, dass Mozart als Zwischenmusik gespielt, wenn man zu Ihnen verbunden wird? Natürlich weiß ich das. Ist doch schön, oder?