: Tsipras setzt alles auf eine Karte
SCHULDENKRISE Griechenlands Parlament stimmt Referendums-Plan zu. Regierung hofft auf Rückenstärkung bei weiteren Verhandlungen mit den Gläubigern. Die Opposition ist entsetzt. Das Drama geht weiter
AUS ATHEN JANNIS PAPADIMITRIOU
So turbulent ist es im griechischen Parlament in den letzten Jahren selten zugegangen: In einer aufwühlenden Rede beschwor Linkspremier Alexis Tsipras in den frühen Sonntagsstunden den kämpferischen Geist seiner Partei. Vehement warb er für ein „großes Nein“ der Bevölkerung bei einem Referendum gegen die Sparpolitik. Scharf kritisierte er zugleich jene EU-Partner, die Bedenken gegen dieses Vorhaben geäußert haben: „Wir werden doch nicht Herrn Schäuble oder Herrn Dijsselbloem um Erlaubnis fragen, bevor wir das Volk befragen“, rief Tsipras. Mit donnerndem Applaus quittierte die Linksfraktion seine Seitenhiebe gegen den deutschen Finanzminister und den Chef der Eurogruppe.
178 der 300 Abgeordneten stimmten für ein Referendum am 5. Juli – neben Parteifreunden aus Tsipras’ Syriza-Partei votierten dafür auch Delegierte des rechtspopulistischen Bündnisses „Partei der Unabhängigen Griechen“ sowie der Neonazi-Partei Goldene Morgenröte. Die Links-rechts-Koalition hat im Parlament insgesamt 162 Sitze.
Doch worüber genau will Tsipras abstimmen lassen? Offiziell werden die Griechen gefragt, ob sie mit Reformauflagen der internationalen Geldgeber einverstanden sind (siehe Spalte links). Wer damit einverstanden ist, soll „Ja“ ankreuzen, heißt es weiterhin auf dem Abstimmungszettel.
Die Vorstellungen der Gläubiger sind in zwei Dokumenten zusammengefasst – und allein die Idee, dass die Oma auf dem Dorf bis kommenden Sonntag eine „Vorläufige Analyse zur Nachhaltigkeit der Schuldenleistungen“ im Schnellverfahren studiert, um sich zu entscheiden, sorgt für allgemeine Erheiterung in Griechenland.
Aber vermutlich geht es in erster Linie nicht um konkrete Vorschläge der Geldgeber. Entscheidender ist es wohl für Tsipras, das umstrittene Referendum zu gewinnen und dann aus einer Position der Stärke weiterverhandeln zu können. Dass man diese Volksabstimmung zum Referendum über den Verbleib Griechenlands im Euroraum uminterpretiert, sei irreführend, mahnte Innenminister Giorgos Katrougalos im Parlament. Premier Tsipras sprach sogar von einem „Verstoß gegen die Demokratie“ in diesem Zusammenhang.
Die Nachricht, Athen beabsichtige Kapitalverkehrskontrollen einzuführen, bestätigte sich nicht. Im Gegenteil: Das Finanzministerium ließ ausdrücklich wissen, dass solche Kontrollen in einer Währungsunion fehl am Platz seien. Allerdings hatte Varoufakis auch im Mai in einem TV-Interview noch erklärt, ein Referendum zur Sparpolitik wäre „Unsinn“.
Laut Premier Tsipras findet die Volksbefragung nun statt, komme, was wolle. Nachdem er dies in der Nacht zum Samstag überraschend ankündigte, beschlossen die Euro-Finanzminister, das am 30. Juni auslaufende Hilfsprogramm für Athen nicht zu verlängern.
Oppositionspolitiker laufen gegen das Referendum längst Sturm – allen voran Konservativen-Chef Antonis Samaras. Im Parlament sprach der Ex-Regierungschef von einer Niederlage seines Nachfolgers: „Herr Tsipras, Sie sind gescheitert. Dem Volk hatten Sie ein besseres Verhandlungsergebnis innerhalb der Eurozone versprochen. Jetzt ist ein schlechteres Abkommen mit den Geldgebern in Sicht, und unsere Mitgliedschaft im Euro ist auch noch in Gefahr“, donnerte Antonis Samaras, der offenbar von der Rückkehr an die Macht träumt.
Der ehemalige Finanzminister und Sozialisten-Chef Evangelos Venizelos machte wiederum rechtliche Bedenken geltend: Zum einen sei ein Referendum über finanzpolitische Fragen laut Verfassung ohnehin nicht erlaubt; zum anderen sei die vorgesehene Vorbereitungszeit von nur fünf Werktagen ebenfalls ein Verstoß gegen geltendes Recht.
Einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit im Parlament lehnte die Links-rechts-Koalition von Regierungschef Tsipras erwartungsgemäß ab.
Laut Medienberichten spielt Oppositionschef Samaras nun mit dem Gedanken, einen Misstrauensantrag gegen Tsipras zu stellen. Dieser hätte vermutlich keine Aussicht auf Erfolg. In der Sache würde dies nichts anderes bringen als eine Verzögerung des Referendums um wenige Tage. Dafür mögen taktische Erwägungen sprechen, der griechischen Wirtschaft täte man damit allerdings keinen Gefallen.