: Politik mit roter Tinte
STREIT Griechenland und den Gläubigern läuft die Zeit davon, doch die politischen Unterschiede sind groß. Premier Tsipras will eine Lösung für die Schuldenkrise, die Gegenseite drängt weiter auf härtere Sparauflagen
AUS BRÜSSEL ERIC BONSE
Es ist ein knallharter Kampf um Zahlen und Zumutungen. Nachdem Kanzlerin Angela Merkel Anfang Juni auf einem Sondergipfel mit den Gläubigern im Berliner Kanzleramt die Zielvorgaben abgesteckt hatte, muss Griechenland nun seine „Hausaufgaben“ machen und die leeren Kästchen ausfüllen, um das Plansoll zu erfüllen.
Doch der erste Versuch ist krachend gescheitert: Die Gläubiger von Europäischer Union (EU), Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) haben die roten Linien von Premier Alexis Tsipras ignoriert und viele Vorschläge rot ausgestrichen. Seitdem steht Brüssel Kopf; in einem verzweifelten Kampf gegen die Uhr suchen Griechenland und die Gläubiger eine neue Basis. Worum geht es? Zum einen geht es um ein Kernanliegen von Tsipras: Erleichterungen beim Schuldendienst. Die griechische Regierung fordert, die Schulden gegenüber dem IWF und der Europäischen Zentralbank auf den Euro-Rettungsschirm ESM zu verlagern. Das hätte den Vorteil, dass Athen bald fällige Milliardenrückzahlungen hinauszögern könnte – eine wichtige Erleichterung im Kampf gegen die Pleite.
Doch die Gläubiger wollten über diesen zentralen Punkt zunächst nicht einmal reden. Erst müsse die „Konditionalität“ abgearbeitet werden, sagte Merkel. Doch auch bei den Bedingungen für die geplanten Hilfen von 7,2 Milliarden Euro hakt es an allen Ecken und Enden. Renten, Mehrwertsteuer, Unternehmenssteuern – nirgendwo wurde man sich auf Anhieb einig.
Bei den Renten ist der Streit besonders heftig. Tsipras möchte zwar die Rentenbeiträge anheben, was einer indirekten Kürzung gleichkommt. Direkte Einschnitte lehnt er jedoch ab. Genau das fordern aber die Gläubiger in ihrem Rote-Tinte-Papier. So beharren sie darauf, dass ein Solidaritätsaufschlag für arme Rentner abgeschafft wird. Zudem wollen sie die Frühverrentung schneller abschaffen und das Rentenalter generell auf 67 Jahre anheben.
Verhärtet haben sich die Fronten bei der Mehrwertsteuer. Die Gläubiger wollen sie auf breiter Front auf den Höchstsatz von 23 Prozent anheben und nur wenige Ausnahmen etwa bei Medikamenten oder bestimmten Lebensmitteln erlauben. Tsipras hingegen fordert ermäßigte Sätze für die Gastronomie, eine Hauptstütze der griechischen Wirtschaft. Zudem will er nun doch an Steuerprivilegien für die Inseln festhalten – mit Rücksicht auf seinen kleinen rechten Koalitionspartner, die Partei Unabhängiger Griechen (Anel), der andernfalls mit einem Bruch der Koalition droht.
Einen ideologischen Streit gibt es schließlich auch noch um die Unternehmenssteuern. Tsipras wollte sie anheben – so wie er generell auf Steuererhöhungen setzt, um Kürzungen zu vermeiden. Sein Vorschlag ist, auf alle Gewinne über 500.000 Euro eine Steuer von 12 Prozent zu erheben. Der IWF hält dagegen, denn dies könnte die Erholung der Wirtschaft gefährden. Allerdings ist dies ein schwaches Argument, denn schon der unter Merkels Ägide gesetzte Rahmenplan belastet die Konjunktur.
So schätzt Malcolm Barr, ein Ökonom bei der Investmentbank JPMorgan, dass der griechische Plan das Wachstum in den nächsten zwölf Monaten um 1,5 Prozent kappen würde – das Land würde also noch tiefer in die Rezession stürzen. Da Griechenland nach den Vorgaben der Gläubiger in den kommenden Jahren noch höhere Primärüberschüsse erzielen, also härter sparen muss, könnte die Wirtschaft sogar noch mehr abschmieren.
Tsipras fordert daher auch noch ein Investitionsprogramm, um das Wachstum anzukurbeln. Die EU-Kommission wäre dazu sogar bereit – sie hat für die Jahre 2015 bis 2020 ein Investitionsprogramm in Höhe von 35 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Doch am Donnerstag war unklar, ob das Teil des Deals mit den Gläubigern sein würde.
Denn die Positionen lagen so weit auseinander, dass die Kreditgeber sich nicht mehr damit begnügten, den griechischen Vorschlag rot durchzustreichen: Nach einem kurzen, aber heftigen Streit zwischen IWF und EU-Kommission legten sie einen neuen, gemeinsamen Plan vor. Angeblich sind sie Athen darin etwas entgegengekommen. Zumindest haben sie diesmal nicht mit roter Tinte gearbeitet.