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Archiv-Artikel

„Germany is a good country“

SACHSEN In Freital hetzen Rechte gegen Flüchtlinge. Die freuen sich, dass es aber auch viel Solidarität gibt

FREITAL taz | Mittwochabend im sächsischen Freital: Auch für den dritten Abend nach der überraschenden Ankunft von weiteren Asylbewerbern im ehemaligen Leonardo-Hotel Freital hatten Internetplattformen wie „Nein zum Heim“ oder „Widerstand Freital“ aufgerufen, sich zu „wehren“. Mobilisiert werden sollte auch gegen die „Verbrecher“ und „Söldner“, die die Ankömmlinge in der plötzlich zur Erstaufnahmeeinrichtung erweiterten Unterkunft unterstützen. Doch was sich dann innerhalb der Polizeiabsperrung entwickelte, glich eher einem Happening.

Das Echo konnte kaum kontrastreicher ausfallen, als ein Bus mit Flüchtlingen eintraf. „Wir wollen keine – Asylantenschweine“ skandieren etwa 100 Gegner der Flüchtlingsunterkunft außerhalb der blockierenden Polizeiautos. Die etwa 80 Pro-Asyl-Demonstranten hingegen begleiten die verstört wirkenden Frauen mit Kindern auf dem Arm zum Eingang und helfen, die wenigen Gepäckstücke zu tragen. Mit knapp 400 Asylbewerbern ist die Kapazität des früheren einfachen Hotels nunmehr ausgeschöpft. Seit März hatte bereits der Landkreis Sächsische Schweiz hier etwa 100 Flüchtlinge untergebracht.

Die Initiative „Nein zum Heim“ hatte dagegen bereits mobilisiert und anfangs bis zu 1.500 Demonstranten auf die Straße gebracht. Nun sind es bis zu 150 überwiegend junge Männer, die meist auf der Hauptzufahrtsstraße herumstehen. Sie schwenken eine dieser deutsch-russisch gekreuzten Fahnen, wie man sie auch bei Pegida-Demonstrationen sieht. Pöbeleien gegen einen Klarinettisten, doch den „Scheiß“ zu lassen, Sprechchöre gegen die „Linksfaschisten“ und die später gegen abziehende Unterstützer fliegenden Flaschen lassen ahnen, dass das Niveau hier noch unter Pegida liegt.

Am Dienstag waren Reifen von auswärtigen Autos zerstochen und die Windschutzscheibe eines Unterstützerfahrzeugs eingeschlagen worden. Gegen die fünf schnell festgestellten Täter ermittelt das für Rechtsextremismus zuständige Operative Abwehrzentrum OAZ in Leipzig.

Erstaunlicherweise zeigen sich zumindest die jungen Männer unter den überwiegend syrischen Ankömmlingen unbeeindruckt von dem Hass, der ihnen in nur 100 Metern Entfernung entgegenschlägt. „Germany is a good country“, ist zu hören. Die Protestierer dürften schließlich auch ihre Meinung haben, und es gebe ja auch viel Unterstützung.

An diesen teils aus dem nur 6 Kilometer entfernten Dresden angereisten Freunden liegt es wohl, dass immer mehr Asylbewerber aus dem Haus auf den Platz kommen. Gesprächskreise bilden sich, man verständigt sich über ein mehr oder weniger gutes Englisch, es gibt etwas zu knabbern. Eine junge Frau, die privat mehrere Taschen mit Kleidung und Spielzeug in die Unterkunft bringt, macht sich allerdings Sorgen um ihre künftige Sicherheit. Die Asylgegner haben sie und ihr Auto fotografiert.

Steffi Brachtel von der Initiative „Weltoffenheit und Toleranz Freital“ plaudert als Anmelderin der Pro-Asyl-Versammlung eher heiter mit Vertretern des Ordnungsamtes. „Das ist meine erste Demo“, erklärt sie aufgeregt. Sie kann zumindest teilweise erklären, warum nach den industriellen Zusammenbrüchen seit 1990 aus dem ehemals „roten Freital“ der Arbeiter eine Hochburg von AfD und Pegida wurde.

Für die unmittelbaren Anwohner zeigt sie auch Verständnis, weil sie von der plötzlichen Heimerweiterung überrumpelt wurden. Die Asylpolitik des CDU-geführten sächsischen Innenministeriums hält sie für konfus. Eine Einschätzung, die vom Kulturbüro Sachsen, Linken und Grünen geteilt wird. Sogar der noch amtierende Freitaler Bürgermeister Klaus Mättig (CDU) kritisierte die Informationspolitik.

Die Polizei bewacht das Heim jetzt rund um die Uhr. Am Donnerstagabend wollte Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) nach Freital fahren. „Was in Freital in den letzten Tagen passiert ist, ist nicht akzeptabel“, sagte er vorher der Leipziger Volkszeitung. Man dürfe über Zuwanderung und Asyl natürlich streiten. „Das muss aber nach demokratischen Regeln geschehen.“ MICHAEL BARTSCH