: Plötzlich scheint alles möglich
ERGEBNISSE Bereits am Mittwoch soll der Deal mit Griechenland stehen – doch dafür zahlt Premier Tsipras einen hohen Preis
ANGELA MERKEL, KANZLERIN
BRÜSSEL taz | Eigentlich sollte schon am Montag Schluss sein. Gleich zwei Sondergipfel hatten die Euroretter eilig nach Brüssel einberufen, um Griechenlands Staatspleite abzuwenden und einen drohenden „Grexit“ zu verhindern. Doch obwohl beide Gipfel ohne greifbares Ergebnis endeten, wächst die Hoffnung in Brüssel. Plötzlich scheint das bisher Unmögliche greifbar nahe.
Bei einem weiteren Krisentreffen der Eurogruppe am Mittwochabend könne der Durchbruch gelingen, so das Kalkül. Der reguläre EU-Gipfel am Donnerstag könnte dann die Ergebnisse absegnen. „Ich hoffe, dass die Eurogruppe Entscheidungen fällt und wir diese dann nur noch zur Kenntnis nehmen müssen“, so Kanzlerin Angela Merkel.
Bis dahin aber gebe es noch „sehr viel Arbeit“ – weniger für die Kanzlerin und die große Politik als für die Eurogruppe und die aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds bestehende „Troika“. Sie sollen die Vorschläge aus Athen prüfen und berechnen, ob sie den Vorgaben entsprechen.
Doch um welche Vorgaben geht es eigentlich? Wurden sie beim Euro-Gipfel besprochen? Merkel drückte sich um eine Antwort, sprach von einem „aide mémoire“, das „die Institutionen“ – also die Troika – vorgelegt hätten. Erst auf Nachfrage kam heraus, dass es sich um das Papier handelt, das Anfang Juni im Berliner Kanzleramt ausgehandelt worden war – hinter verschlossenen Türen und ohne die griechische Regierung.
Darin steht, dass Griechenland im laufenden Jahr einen Primärüberschuss von einem Prozent erreichen muss. Bis 2018 soll der dann auf 3,5 Prozent steigen. Entsprechend hoch müssen auch die Einsparungen und Kürzungen im Staatsbudget ausfallen: Insgesamt summieren sie sich nach dem jüngsten Entwurf aus Athen auf die gewaltige Summe von 7,9 Milliarden Euro.
Diesen Preis will Premier Alexis Tsipras nun zahlen, um die von der EU versprochenen Hilfskredite von 7,2 Milliarden Euro zu erhalten. Kein attraktiver Deal, zumal die Kredite gleich wieder in den Schuldendienst gehen – schon in einer Woche werden 1,6 Milliarden Euro beim IWF fällig. Und die Gläubiger könnten sogar noch draufsatteln und weitere Opfer fordern.
Dabei ist Tsipras bereits weit gegangen: So will er die meisten Frührenten abschaffen, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöhen und die Rentenbeiträge anheben. Auch die Mehrwertsteuer im lebenswichtigen Tourismus-Sektor soll steigen. Geplant sind zudem eine Reichensteuer, eine Sonder-Gewinnsteuer und Kürzungen im Verteidigungshaushalt.
Als Gegenleistung hatte Tsipras eine Umschuldung und ein Investitionsprogramm gefordert, um Griechenland wieder „lebensfähig“ zu machen. Doch davon wollte Merkel beim Euro-Gipfel nichts wissen. Zwar müsse man über die Tragfähigkeit der Schulden reden, die unter der Ägide der Euroretter auf fast 180 Prozent der Wirtschaftsleistung explodiert sind. „Es steht aber nicht zur Debatte, dass wir Schulden restrukturieren.“
Offener zeigte sich Frankreichs Staatspräsident François Hollande. Er mahnte eine „umfassende und dauerhafte Lösung“ an – auch für die Schulden. Doch ob er den deutschen Widerstand brechen kann? Die Details sollen die Eurogruppen-Finanzminister aushandeln – und dabei dürfte Wolfgang Schäuble einen harten Kurs fahren.
Am Montag hatte Schäuble Athens Vorschläge rundheraus abgelehnt und Kapitalverkehrskontrollen ins Gespräch gebracht – das ultimative Druckmittel der Gläubiger. Bei der entscheidenden Runde am Mittwoch wollen auch Österreich, Finnland und Litauen die Daumenschrauben anziehen.
Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite gab am Montag schon einen Vorgeschmack: „Wir sehen ein Land, das schlemmen möchte und sich von anderen das Geld dafür geben lassen möchte“, schimpfte sie. Das lässt kaum Entgegenkommen erwarten. Plötzlich scheint alles möglich – Scheitern in letzter Minute eingeschlossen. ERIC BONSE