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Archiv-Artikel

Russland geht in die Pipeline-Offensive

ENERGIE Gazprom will zwei neue Gasröhren bauen, die völlig überdimensioniert sind. Warum?

CHIANG MAI taz | Die Kapazität von North Stream, der Gaspipeline von Russland direkt nach Deutschland, soll verdoppelt werden. Dazu haben der russische Gaskonzern Gazprom und die drei europäischen Energiekonzerne Eon, Shell und OMV letzte Woche eine Absichtserklärung unterzeichnet.

Zudem will Gazprom Turkish Stream bauen: Die Röhre soll Gas durchs Schwarze Meer in die Türkei und dann bis zur griechischen Grenze transportieren. Das Erstaunliche: Die EU hat kein Interesse an diesen Pipelines. „Unsere Politik ist nicht mehr Gas, sondern mehr Diversifikation“, sagt der EU-Energiekommissar Miguel Arias Cañete.

Grund für die russische Pipelinebegeisterung ist die Entscheidung Moskaus, ab 2019 kein Gas mehr durch die Ukraine nach Europa zu liefern. Die EU lehnt das ab – Cañete macht auf die verlorenen Transitgebühren für die Ukraine aufmerksam. Hinzu kommt, dass die Ukraine über große, für die EU wichtige Gasspeicher verfügt.

Selbst wenn Russland ab 2019 tatsächlich kein Gas mehr durch die Ukraine nach Europa pumpt, besteht kein Bedarf für eine Verdoppelung von North Stream und Turkish Stream. Derzeit sind Russland und Europa durch drei Gaspipelines miteinander verbunden: North Stream, die Yamal-Pipeline durch Weißrussland und das Pipelinesystem durch die Ukraine. Einzig die Yamal-Pipeline ist voll ausgelastet, wie der Europa-Think-Tank Bruegel mit Daten von BP in einer Studie aufgezeigt hat. Derzeit bezieht Europa knapp 120 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland. Fällt die Ukraine weg, fehlt eine Kapazität von 35 Milliarden Kubikmetern. Wenn North Stream um 55 Milliarden erweitert wird und Turkish Stream mit 49 Milliarden Kubikmeter dazukommt, besteht eine gigantische Überkapazität – zumal noch eine 10-Milliarden-Kubikmeter Pipeline aus Aserbaidschan nach Süditalien entstehen soll.

Warum das alles? Der Think-Tank Bruegel kommt auf drei mögliche Antworten: Erstens, Russland hat nicht die Absicht, Turkish Stream voll auszubauen. Dafür spricht, dass unklar ist, wie das Gas weiter nach Europa transportiert werden soll. Zweitens, Russland benutzt die Nordsee-Pipeline-Option, um erst die Türkei unter Druck zu setzen und dann auf die Erweiterung zu verzichten. Und drittens, es geht Russland um Machtpolitik: Mit den konkurrierenden Pipelines soll die EU gespalten werden. Dieser Meinung ist auch Sijbren de Jong vom Zentrum für strategische Studien in Den Haag: „Es ist klassisches ‚Teile und herrsche‘.“ CHRISTIAN MIHATSCH