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Archiv-Artikel

„Täglich wächst der Druck“

POSTSTREIK Verdi-Verhandlungsführerin Andrea Kocsis wirft der Arbeitgeberseite vor, ausschließlich Kapitalmarktinteressen zu bedienen. Eine Verständigung ist nicht in Sicht

INTERVIEW PASCAL BEUCKER

taz: Frau Kocsis, seit mehr als zwei Wochen läuft der unbefristete Verdi-Streik bei der Post, ohne dass die Arbeitgeberseite die geringste Bereitschaft zum Einlenken zeigt. Haben Sie noch Hoffnung, dass sich das ändert?

Andrea Kocsis: Ich habe die Erwartungshaltung, dass sich das ändert. Der Postvorstand hat sich ziemlich einbetoniert. Aber wir wissen, dass unsere Streiktaktik wirkt, nach und nach immer mehr Menschen in den Ausstand zu führen. In der Paketzustellung kommt es zu erheblichen Rückständen, die von Tag zu Tag wachsen. So wächst auch täglich der Druck. Wir glauben, dass die Post ihre Blockadehaltung irgendwann überwinden muss und mit uns zu einem Kompromiss kommen muss.

Was macht diesen Tarifkonflikt so verbissen?

Er ist so kompliziert, weil wir etwas bei Verdi bisher nie Dagewesenes erlebt haben. Wir haben einen Vertrag, der bis zum Ende des Jahres gilt. In dem ist ausgeschlossen, dass die Post AG mehr als 990 Zustellbezirke fremdvergibt, auch nicht an Tochtergesellschaften innerhalb des Konzerns. Diesen Vertrag hat der Arbeitgeber gebrochen. Für die Paketzustellung hat die Post 49 regionale Delivery-Gesellschaften gegründet, in denen sie im Vergleich zum Haustarifvertrag schlechtere Tarife zahlt. Die Situation wird zusätzlich brisant, weil Ende des Jahres auch noch die Vereinbarung über den Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen ausläuft.

Wenn es tatsächlich einen Vertragsbruch gegeben hat: Kann Verdi dagegen nicht einfach klagen?

Selbstverständlich sind wir vor das Arbeitsgericht gezogen. Aber das hilft uns nicht in der derzeitigen Auseinandersetzung. Denn ein solches Verfahren dauert lange. Nach dem Arbeitsgericht dürfte das Landesarbeitsgericht folgen, vielleicht geht es sogar irgendwann vor das Bundesarbeitsgericht. Wir müssen die Probleme jedoch jetzt lösen. Deswegen tun wir das eine, ohne das andere zu lassen.

Der Arbeitgeber wirft Verdi vor, die Wettbewerbsfähigkeit des Konzerns zu riskieren. Schließlich zahle die Konkurrenz wesentlich niedrigere Löhne.

Es ist unzweifelhaft, dass die anderen Wettbewerber deutlich niedrigere Löhne zahlen. Das liegt an dem Modell der Subunternehmen, die zu großen Teilen bei der Zustellung eingesetzt werden. So unterlaufen die Unternehmen tarifvertragliche Regelungen. Wir halten das für skandalös, weil es falsch ist, Menschen, die tagtäglich einen harten Job machen, in solche Arbeitsverhältnisse zu zwängen. Aber: Wir haben diesen unerträglichen Zustand seit Jahren, trotzdem wächst die Post weiter am Markt. Denn sie hat strukturelle Vorteile, die die Konkurrenz auch nicht durch Lohndumping wettmachen kann. Deswegen ist das Argument, dass die niedrigeren Löhne der Wettbewerber ein Problem für die Post sind, für uns nicht nachvollziehbar.

Der Postvorstand warnt vor drohenden Arbeitsplatzverlusten, falls sich Verdi durchsetzt.

Wenn einem kein anderes Argument mehr einfällt, fängt man an, mit Arbeitsplatzabbau zu drohen. Mit der Realität hat das nichts zu tun. Der Paketmarkt boomt und die Post ist der eindeutige Marktführer. Deswegen hat sie einen erhöhten Bedarf an Arbeitskräften. Denen will sie jedoch weniger zahlen, um ihre schon jetzt hohen Gewinne weiter steigern zu können. Es geht dem Vorstand ausschließlich darum, Kapitalmarktinteressen zu bedienen.

Wie lange wird Verdi diesen Arbeitskampf noch durchhalten?

Um den Konflikt zu lösen, muss die Post ein einigungsfähiges Angebot vorlegen. Dazu gehört, die ausgelagerten Beschäftigten unter das Dach des Haustarifvertrags zurückzuholen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind wir auch bereit, weitgehende Kompromisse einzugehen. Nur sollte sich die Post in der Sache nicht täuschen: Die Beschäftigten folgen unseren Aufrufen. Täglich gehen mehr Kolleginnen und Kollegen in den Arbeitskampf. Sie werden erst in die Betriebe zurückkehren, wenn Verdi den Streik beendet hat. Ich bin mir sehr sicher, dass wir in dieser Auseinandersetzung einen langen Atem haben.