: Noch wird nicht geschossen
EINSATZ Die EU-Außenminister beschließen die erste Phase des umstrittenen Kampfes gegen Schlepper in Libyen – es geht um Aufklärung und umfassende Überwachung. Für weitere Schritte fehlt die Rechtsgrundlage
FRANK-WALTER STEINMEIER
AUS BRÜSSEL, BERLIN UND TRIPOLIS ERIC BONSE, CHRISTIAN JAKOB UND MIRCO KEILBERTH
„Wir haben das Thema Migration noch nie so ernst genommen wie heute.“ Mit diesen Worten preist die Außenbeauftragte Federica Mogherini die neue Flüchtlingspolitik der EU. Doch was die Außenminister am Montag in Brüssel beschlossen haben, ist nicht etwa mehr Hilfe für Migranten, sondern ein Militäreinsatz gegen Schlepper. Der allerdings fällt bescheiden aus.
Die EU hat nämlich nur ein Mandat für die sogenannte Phase eins der Operation – die Aufklärung über Schleuser und ihre Netzwerke. Für einen weitergehenden Einsatz etwa zur Zerstörung von Schlepperbooten in libyschen Hoheitsgewässern fehlen Brüssel jedoch noch ein UN-Mandat und die Zustimmung der libyschen Regierung. Salopp gesagt: Für das Schiffeversenken gibt es keine Rechtsgrundlage. Deshalb müssen sich die EU-Außenpolitiker zunächst mit dem Ausforschen und Abhören der Afrikaner begnügen. Man wolle „das Geschäftsmodell“ der Schlepper zerstören, so Mogherini. Die umstrittene Aktion ziele nicht auf die Migranten, sondern auf „diejenigen, die mit deren Leben und – zu oft – mit deren Tod Geld verdienen“.
Doch ohne Schlepper werden viele Flüchtlinge nie in Europa ankommen. Es geht also sehr wohl um eine Eindämmung der Migrationsbewegung. Gleichzeitig kommt die versprochene solidarische Lastenaufteilung innerhalb der EU nicht voran. Die EU-Kommission hat zwar einen Quotenplan vorgeschlagen, mit dem zunächst 40.000 Flüchtlinge gerechter und menschenwürdiger in Europa verteilt werden sollen. Sie will damit Italien und Griechenland entlasten, die unter dem Zustrom der Migranten ächzen und deren Aufnahmekapazitäten zusammenzubrechen drohen. Doch der Plan steckt in den Brüsseler Institutionen fest. Vor allem die osteuropäischen Staaten stemmen sich gegen die Flüchtlingsquote. Aber auch Frankreich hat Bedenken. Deutschland hingen unterstützt den Kommissionsplan, von dem es sich eine Entlastung verspricht. Es sei jedoch noch „ein großer und langer Weg“ nötig, um zu Beschlüssen zu kommen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Auch die Pläne zur Stabilisierung Libyens, das sich seit dem von EU und Nato gesponserten Machtwechsel zum Haupttransitland für Flüchtlinge entwickelt hat, kommen nicht voran. „Ohne die Stabilisierung Libyens werden uns kaum entscheidende Schritte gegen die Migrationsströme aus Nordafrika und der Subsahara-Region gelingen“, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier in Luxemburg.
Doch ein Konzept haben die Außenminister nicht vorgelegt. Stattdessen schicken sie nun Soldaten – nach Rom, wo die neue Mission „Eunavfor Med“ ihr Hauptquartier hat. Die Bundeswehr setzte schon vier Mann in Marsch. Sie sollen zunächst aber nur an der Planung mitwirken. Später könnten auch zwei deutsche Marineboote zum Einsatz kommen. Bisher kümmern sie sich um die Seenotrettung vor der Küste Libyens. Ob sie irgendwann zum Kampfeinsatz abbeordert werden, ist offen.
Vorerst werden die 28 Mitgliedstaaten zu Wasser, aus der Luft und dem All mit Satellitenbildern Informationen über Fluchtrouten aus Nordafrika sammeln. Auch Polizei und Geheimdienste sollen mitwirken.
Eine tragende Rolle spielt dabei das sogenannte Joint Operational Team Mare (JOT Mare). Das Aufklärungszentrum der EU-Polizeibehörde Europol nahm im März dieses Jahres seine Arbeit auf, auch das deutsche BKA ist beteiligt. Alleinige Aufgabe der Sondereinheit mit Sitz in Den Haag ist das Aufspüren von Schleppern. Dazu bedient es sich kriminalpolizeilicher Methoden wie Telefonüberwachung oder der Kontrolle grenzüberschreitender Banküberweisungen. Hintergrund sind unter anderem Berichte über die Möglichkeit, irreguläre Überfahrten etwa aus der Türkei per Facebook zu buchen und dann per Banküberweisung an die Schlepper zu bezahlen.
Zudem wertet die JOT Mare auch beschlagnahmte Handys von Flüchtlingen aus, um festzustellen, mit wem sie vor ihrer Überfahrt gesprochen haben.
Eine weitere Säule der Schlepper-Aufklärung ist die Auswertung von Satellitenbildern. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex verfolgt seit diesem Jahr im Rahmen eines Unterprogramms des EU-Grenzüberwachungssystems Eurosur aus dem All verdächtige Schiffe. Hierzu bedient sich das Satellitenzentrum der EU mit Sitz im spanischen Torrejón bei den Betreibern kommerzieller und militärischer Satelliten – auch die hochauflösenden Bundeswehr-Aufklärungssatelliten namens SAR-Lupe stehen dafür zur Verfügung.
„Die beispiellose Aufrüstung lässt sich nicht mit dem angeblichen Ziel einer humaneren Flüchtlingspolitik der Europäischen Union in Einklang bringen. Da hilft es auch nichts, wenn statt von Zerstörung nun von einer Neutralisierung der Flüchtlingsboote gesprochen wird“, sagte der Linke-Abgeordnete Andrej Hunko.
Auch in Libyen kommen die EU-Pläne schlecht an. „Jeden Landungsversuch in Libyen werten wir als Angriff“, sagte der Premier der islamistischen Fajr-Rebellen-Regierung in der letzten Woche. „Schließlich sind wir nicht einmal zu dem Plan konsultiert worden.“
Seit zwei Monaten werden Migranten in Libyen verstärkt verhaftet und in eines der vier hoffnungslos überbelegten Aufnahmelager gesteckt. Da die meisten Botschaften Libyen verlassen haben, ist die Rückführung in die Heimatländer aber so gut wie unmöglich. Nicht selten werden die Männer zu unbezahlter Arbeit gezwungen.
Zudem stellt sich die Frage, wen die EU-Soldaten überhaupt angreifen wollen. Jede Aktion müsste in IS-kontrolliertem Gebiet stattfinden, die Schmuggler selbst aber sind unauffällig. Boote und die in kleine Gruppen aufgeteilten Reisewilligen werden an der rund 2.000 Kilometer langen Küste oft in Wochenendhaussiedlungen versteckt. Bei günstiger Gelegenheit vergehen nach dem meist plötzlichen Startsignal selten mehr als zwei Stunden, bis die Boote aufgepumpt und auf See Richtung Italien fahren. Da selbst in Ägypten und Tunesien die Boote mittlerweile knapp werden, kommt der Nachschub per Container in den Häfen von Misrata und Tripolis an. Für die aufblasbaren China-Importe zahlen die Schleusernetzwerke rund 1.200 Euro, die Motoren schlagen mit weiteren 3.000 Euro zu Buche. Doch das Geschäft lohnt sich: Jeder Passagier zahlt im Durchschnitt 1.200 Euro für ein Ticket nach Lampedusa oder Sizilien, bis zu 120 Menschen werden auf die rund zehn Meter langen holzverstärkten Gummiboote gepfercht.