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Archiv-Artikel

Selfies mit bunten Burkas

STADTTEILKUNST Kollegiales Nebeneinander von Etablierten und Unbekannten: In diesem Jahr beteiligen sich 57 KünstlerInnen am Altonale-Projekt „Kunst im Schaufenster“

VON KATJA LAH

Neugierige Blicke gab es, als die fünf Frauen am Freitag einzeln oder in der Gruppe in Altona auftauchten und Selfies von sich machten. In bunte Burkas hatte sie Maria Wende, eine der 12 Nominierten, die im Rahmen der Kunst-Altonale bis Anfang Juli „Kunst im Schaufenster“ zeigen, zuvor für ihre Performance „Fabric“ gesteckt.

Die Burka gelte heute nicht als neutrales Kleidungsstück, erklärt die 31-Jährige ihre Performance. Längst stünde sie für ein dogmatisches Verständnis des Islam. Wende aber möchte Gesellschaften einander annähern. „Indem ich bunte Stoffe, darunter auch eine grüne Burka mit weißen Äpfeln verwende, betone ich den westlichen Aspekt“, sagt sie. Dadurch und durch das Schießen von Selfies werde die Diskrepanz zwischen beiden Welten noch deutlicher.

Dieser Gegensatz, eine versöhnende, zugleich aber auch die Unterschiede herausarbeitende Attitüde, gibt ihrer Performance Kraft. Angst, dass Menschen aggressiv auf die ironisierende Darstellung reagieren könnten, hatte Maria Wende im Vorfeld aber keine. „Das würde ja bedeuten, dass ich Vorurteile habe“, sagt sie, „und anderen Intoleranz unterstelle.“

Die Stoffe für die schönen Burkas, darunter eine mit Leopardenfelloptik, hat der Handarbeitsladen „Frau Tulpe“ in der Großen Bergstraße 213 gestiftet. Ab Sonntag sind sie dort gemeinsam mit den Selfies der Performerinnen zu sehen. Und Mode-Mutige können sie dort auch kaufen.

Direkt gegenüber, in Denn’s Bioladen in der Großen Bergstraße 152, stellt Michael Heim aus. Der 45-Jährige nimmt schon zum wiederholten Mal an der Kunst-Altonale teil. Inspirieren lässt sich der begeisterte Koch täglich, bei der Arbeit. Aus Küchenabfällen und Strandgut hatte er vor drei Jahren „Kiezkameraden“ gebastelt. Diesmal zeigt auch Heim Klamotten. „Kleider machen Leute“ heißt sein aus Altkleidern gefertigtes Gewand, das verdeutlichen soll, dass ein Kleidungskodex einerseits für Zusammenhalt sorgt, andererseits aber auch einengt.

Denn das Thema, zu dem dieses Jahr insgesamt 57 KünstlerInnen gearbeitet haben, heißt „Solidarität“. Ganz im Sinne von Joseph Beuys berühmtem Diktum „Jeder ist ein Künstler“ können dabei ausdrücklich auch Laien ihre Werke in Schaufenstern rund um Spritzenplatz, Bahnhof und Große Bergstraße ausstellen.

Eine ganz eigene Umsetzung des Themas „Solidarität“ betreibt der venezolanische Künstler Arnaldo Gonzales, der in Claus Krögers „Kaffee & Tee“ in der Großen Bergstraße 241 ausstellt. Seine Videoinstallation zeigt frontal die Hälse von fünf Menschen, die ihre Köpfe zum Himmel recken. Nur wer innehält und genau hinsieht, merkt, dass es sich nicht um einen Filmstill handelt. Sporadisch heben und senken sich ihre Adamsäpfel zart, wenn sie schlucken müssen. Eine Tafel im Schaufenster verrät: wegen all der Dinge, die auf der Welt geschehen, der Ungerechtigkeiten, die uns auch selbst widerfahren, die wir aber herunterschlucken.

„Kunst ist einer der Wege, die Welt zu betrachten und sie sich anzueignen“, sagt Monika Baum. Seit 2010 leitet die Kulturwissenschaftlerin die Kunst-Sparte von Deutschlands größtem Stadtteilfest. Viele der Teilnehmenden arbeiten ehrenamtlich, erzählt sie, auch die KünstlerInnen. Ihnen sollen die Altonale und das Projekt „Kunst im Schaufenster“ eine Plattform bieten. Baum hofft, „dass viele von ihnen hier wahrgenommen werden“.

Ein besonderer Anreiz ist der mit 2.000 Euro dotierte Kunstpreis, zusätzlich winkt ein Publikumspreis in Höhe von 250 Euro. Noch bis zum Donnerstag können sich BesucherInnen in den ausstellenden Geschäften an der Abstimmung beteiligen.

■ bis 5. 7. in Schaufenstern in Ottensen und Altona-Altstadt. ■ Geführte Rundgänge in Ottensen: Di, 23. 6. und Di, 30. 6., 17 Uhr, Treffpunkt vorm Mercado, Ottensener Hauptstraße. ■ Rundgang Große Bergstraße: Sa, 27. 6., 11 Uhr, Treffpunkt: Max-Brauer-Allee, Fußgänger-Ampel zur Großen Bergstraße