: „Ein Ort der Durchreise“
DIASPORA Zum „Diversitytag“ des Interkulturellen Forums lesen AutorInnen zu Exil und Flucht
■ 40, ist Filmemacher, Autor und Performancekünstler. Er lehrt an der HFBK und wohnt selbst auf der Veddel.
taz: Herr Softić, für Ihr Buch haben Sie mit mit Flüchtlingen auf der Veddel gesprochen – was macht den Ort im Hinblick auf Exil besonders?
Adnan Softić: Der unruhige Zustand des Orts. Auch historisch gesehen ist die Veddel ein Ort der Durchreise; der Zustand des Migrierens macht ihn aus. Man ist gekommen, um bald wieder zu gehen. Offiziell leben dort Menschen aus 67 Nationen.
Es geht auch um die Isoliertheit, die man im Exil erfährt. Wie kommt es dazu, wenn dort doch so viele leben, die ähnliche Erfahrungen teilen?
Man wird in eine Passivität geworfen. Im Exil muss ich meine Heimat, meine Vergangenheit in Gedanken fortsetzen. Gleichzeitig muss ich meine Zukunft und Gegenwart aushandeln. Und das alles meist vor einem traumatischen Hintergrund. Das ist es, was einen lahmlegt. Aber es hat auch etwas mit den klimatischen Bedingungen oder Essgewohnheiten zu tun. Es sind Fragen wie: wie schmecken die Tomaten in Deutschland?
Und, wie schmecken sie?
Geht so. Sie sind schon ganz okay und sie werden auch immer besser. Ich beziehe mich damit auf die Erinnerungskultur, die in den Wohnungen der Familien weitergeführt wird. Gerade der Geschmack von Tomaten ist etwas, worüber sich südländische Familien immer wieder beschweren.
Sie fragen auch: Was bedeutet Geschichte im Exil?
Geschichte ist etwas, das einem passiert. Man ist ihr ausgeliefert und hat keine Wahl, oder die Wahl ist keine gute. Man muss sich dem stellen, was einen früher ausgemacht hat und was einem heute wiederfährt. Das ist eine große Herausforderung.
Der Titel Ihres Buches ist: „Schlinge und Kristall sind aus dem gleichen Druck entstanden“. Wie ist das gemeint?
Der Druck treibt einen ins Exil – den Weg macht man nicht einfach so. Und der Zustand, in dem man dann jahrelang verweilen muss, ist auch ein Druck, dem man schwer standhalten kann. Daraus ergeben sich schlingenartige Knoten, die den Zugang zur Vergangenheit verschließen. Viele Leute begehen im Exil Selbstmord.
Und die Kristalle?
Wenn man es schafft, diesem Zustand Antworten zu geben, ergeben sich ganz besondere Perspektiven. Die brechen sich wie in einem Kristall und bieten immer neue Möglichkeiten, der Welt zu begegnen und sie zu regenerieren. INTERVIEW: KSCH
Lesung mit Adnan Softić, Anne Chebu und Rosa Yassin Hassan: 18 Uhr, Zentralbibliothek, Hühnerposten 1