„Es gab einige Angriffe“

TAZ SALON Im Lagerhaus wird über die miese Wahlbeteiligung und ihre Ursachen diskutiert

■ 39, war als Wahlrechtsexperte an der Entwicklung des neuen Wahlrechts in Bremen beteiligt.

taz: Herr Zicht, müssen Sie heute Abend das neue Wahlrecht verteidigen?

Wilko Zicht: Ja, ich denke schon. Es gab in den letzten Tagen einige Angriffe. Durch das neue Wahlrecht können die WählerInnen mehr Einfluss nehmen, einige verlieren dabei an Einfluss und wollen diesen zurückgewinnen.

Wer hat an Einfluss verloren?

Die Parteiführungen. Durch die Personenstimmen haben sie nicht mehr in gleichem Maße Einfluss, einzelne Parteimitglieder auf der Liste zu sichern.

Hat die Wahlrechtsreform Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung?

Nein. Ich habe aber auch nie zu denen gehört, die das gehofft haben. Die Wahlbeteiligung sinkt derzeit generell, vor allem im Zusammenhang mit der steigenden sozialen Ungleichheit. Es hat sich gezeigt, dass Menschen, die sich wirtschaftlich abgehängt fühlen, sich nicht mehr an der Wahl beteiligen.

Das neue Wahlrecht soll WählerInnen mehr Einfluss gewähren, aber der Anteil der ungültigen Stimmen war erhöht. Ist das neue Wahlrecht zu kompliziert für weniger gebildete WählerInnen?

Der Anteil der ungültigen Stimmen war vor allem in sozial benachteiligten Milieus erhöht. Wenn der Stimmzettel nicht durchgekreuzt oder kommentiert wurde, sondern zu viele Kreuze gemacht wurden, ist davon auszugehen, dass nicht aus Protest, sondern versehentlich die Stimme ungültig abgegeben wurde. Das ist etwas, das wir uns anschauen müssen.

Wie könnte man das Problem beheben?

Indem nicht der gesamte Stimmzettel durch ein Kreuz zu viel seine Gültigkeit verliert.

Kann eine Wahlreform dazu beitragen, Nichtwähler zur Stimmabgabe zu motivieren?

Wenn es so wäre, wäre das schön. Eine Wahlreform kann in einem geringen Maße dazu beitragen, aber eigentlich ist das Aufgabe der Wirtschafts und Sozialpolitik.  INTERVIEW: NELE WAGNER

taz Salon „Viele Kreuze - wenig Wähler“: 19 Uhr, Lagerhaus