: DIE TRIBUTE VON LEIPZIG
VON PHILIP MEINHOLD
Was das für ein Fest sei, fragte ich meine Bekannte, als wir in der Tram am Leipziger Augustusplatz vorbeizuckeln. „Ach das“, antwortet sie und zuckt mit den Schultern, „das ist das Stadtfest zum 1.000. Geburtstag der Stadt.“ Ich bin überrascht: Eine 1.000-Jahr-Feier, ohne dass es außerhalb irgendwer mitbekommt? Also, raus aus der Tram und rein in den Trubel – mal schauen, wie diese angenehmste aller ostdeutschen Städte ihren Geburtstag begeht.
Die Hälfte des Platzes zwischen Oper und Gewandhaus hat Super RTL mit seinem Kinderprogramm „Toggo“ in Beschlag genommen: Hier gibt es einen Toggo-Fanshop, eine Toggo-Kletterwand, eine Toggo-Bühne – und für die Allerkleinsten eine Toggolino-Hüpfburg. Natürlich geben sich die Toggolino-Stars Kuma, Käpt’n Barnius und Toggolino höchstpersönlich die Ehre. Ich habe zwar keinen Schimmer, wer das ist, aber: Schön, dass Leipzig das Jubiläum nutzt, um Unwissende in die bunte Toggo-Welt einzuführen.
Weiter geht’s in die angrenzende Fußgängerzone, wo sich Stände mit Großenhainer Knoblauchbrot, die Galeria Summer Lounge und Steffi’s Baumstriezlei (nur echt mit dem sächsischen Genitiv!) zu einer Art Malle-Meile für Daheemegebliebene aneinanderreihen. Hinter einem geöffneten Gitarrenkoffer steht Jimmy Kelly und klampft sich durch countryeske Klassiker. Zur Sicherheit hat er ein Schild mit der Aufschrift „Jimmy Kelly – Kelly Family“ aufgestellt.
Auf der Hauptbühne am Markt geben sich stattdessen Mr. Joe & Band (Joe Cocker Tribute), Cassandra Dees Revival Show (Tina Turner Tribute) und MerQury (Queen Tribute) ein Stelldichein, mit anderen Worten: Es gibt die durchgenudeltsten Hits der siebziger und achtziger Jahre in einem sächsischen Aufguss zu hören. Auf der Bühne am Burgplatz lassen Achim Mentzel, Ute Freudenberg und Frank Schöbel Sehnsucht nach der schlechten alten Zeit aufkommen. Also schnell zurück zum guten alten Jimmy und etwas Westgeld in seinen Koffer kredenzt.
Ach, Leipzig: Was hätte man hier nicht alles feiern können! Das Gewandhausorchester und den Thomanerchor; Bach, Bartholdy und die Leipziger Messe; die verkackte Olympiabewerbung von 2004 und das Aufrollen des deutschen Profifußballs durch einen Brausehersteller. Und wo sind eigentlich die Prinzen, wenn man sie mal braucht? Immerhin haben die eingeborenen A-cappella-Artisten 2,5 Prozent des Leipziger Jahrtausends begleitet – und mit dem Gassenhauer „Ich wär so gerne Millionär“ der Leipziger Volksseele mit ihrer eigenen Mischung aus Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn ein musikalisches Denkmal gesetzt.
Kein Wunder, dass am Freitag ein paar enttäuschte Feierbiester versuchten, dieses „Finale furioso der Party-Tage“ (LVZ) mit einem Feuerwerk aus Böllern und brennenden Reifen aufzupeppen. Ach, ach: So trostlos ist dieses Trauerspiel in der Camouflage eines Stadtfests, dass man sich wünscht, man wäre einfach in der Tram seiner Wege gezuckelt. Denn so eine Geburtstagsfeier hat die alte Schlampe Leipzig nun wirklich nicht verdient.