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Archiv-Artikel

Schläger gegen die „Sodomie“

HOMOPHOBIE I Mehrere Verletzte bei Übergriffen ukrainischer Nationalisten auf Parade von Schwulen und Lesben am Samstag in Kiew. Polizei kann die Veranstaltung nicht schützen

Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko hatte darum gebeten, den Marsch abzusagen

VON BERNAHRD CLASEN

ODESSA taz | Mehrere zum Teil schwer verletzte Polizisten und 27 vorläufig festgenommene Rechtsradikale: So lautet die Bilanz des zweiten „Gay-Pride-Marsch“, der am Samstag in der ukrainischen Hauptstadt Kiew stattfand.

Nur 30 Minuten lang konnten rund 300 Schwule, Lesben und ihre Sympathisanten durch den Stadtteil Obolon ziehen. Dann musste der Marsch jedoch vorzeitig abgebrochen werden. Angesichts gewalttätiger Übergriffe ukrainischer Nationalisten mit Wurfgeschossen und Schlagstöcken konnte die Polizei, die mit über tausend Beamten die Teilnehmer zu schützen versucht hatte, deren Sicherheit nicht mehr garantieren.

Als sich die Teilnehmer der Demonstration über anliegende Hinterhöfe zurückziehen wollten, stießen sie erneut auf Nationalisten, die sich dort vor der Polizei versteckt hatten. Es kam zu weiteren Auseinandersetzungen, bei denen einige Demonstranten leicht verletzt wurden.

Streng abgeschirmt von der Öffentlichkeit hatte Kiews LGBT-Szene am vergangenen Samstag ihren Gay-Pride-Marsch vorbereitet. Lediglich ein kleiner Kreis von Journalisten und Sympathisanten war am Freitagabend zu einem Treffpunkt eingeladen worden, von dem aus es am nächsten Tag mit Bussen zum eigentlichen Kundgebungsort gehen sollte. Doch an dem geheim gehaltenen Treffpunkt wurden die Teilnehmer und Journalisten bereits erwartet: von gewaltbereiten, schwarz gekleideten jugendlichen ukrainischen Nationalisten, die mit Wurfgeschossen, Ketten und Baseballschlägern bewaffnet waren. Offensichtlich hatte ihnen jemand die Adresse verraten.

Bereits im Vorfeld hatte die Demonstration der ukrainischen LGBT-Bewegung für kontroverse Diskussionen gesorgt. Der „Rechte Sektor“ und andere nationalistische Organisationen hatten in einer gemeinsamen Erklärung Widerstand gegen den „sodomitischen Marsch“, der „Homosexualität und andere sexuelle Ausschweifungen rechtfertigt, legitimiert und propagiert“, angekündigt.

Am Donnerstag hatte Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko die Veranstalter gebeten, die Kundgebung abzusagen. Am Freitag hatte Präsident Petro Poroschenko den Marsch als verfassungsmäßiges Bürgerrecht verteidigt und den Veranstaltern zugesichert, dass dieser auch stattfinden könne.

In einer ersten Stellungnahme nach der Demonstration machte der „Rechte Sektor“ Beamte, die die Veranstaltung erlaubt hätten, und LGBT-Aktivisten für die gewalttätigen Ausschreitungen verantwortlich: Sie hätten wissen müssen, dass Patrioten und Frontsoldaten derartige Veranstaltungen als Angriff auf das ukrainische Volk werten würden. Der „Rechte Sektor“ habe sie rechtzeitig gewarnt.