: Ein Pfarrhaus wie ein Ledertreff
HOMOS In der evangelischen Kirche sind Schwule und Lesben wohlgelitten. Doch ist das wirklich so?
VON JOSEF WIRNSHOFER
Eigentlich ist doch alles gut. So zumindest scheint es, wenn lesbische Frauen und schwule Männer davon erzählen, wie aufgehoben sie sich in ihren Kirchengemeinden fühlen „Meine Frau ist Priesterin in Hamburg, wir wohnen seit Jahren zusammen im Pfarrhau“, sagt Jessica Diedrich vom Frauennetzwerk Lesben und Kirche (LuK). „Bei unserer Segnungsfeier vor drei Jahren war die ganze Gemeinde eingeladen.“ Auch Klaus Pantle sah sich in den über 20 Jahren, die er als evangelischer Gemeindepfarrer in Stuttgart gearbeitet hat, als stets akzeptiert. „Mein Freund war bei Gottesdiensten dabei, hat bei Gemeindefesten geholfen und war immer präsent.“
Homosexualität ein Problem? Nicht bei frommen Mütterchen oder den 1930er-Jahrgängen – wie man meinen könnte. „Dass ich schwul bin, hat die nicht interessiert“, sagt Pantl „Die hat interessiert, wie ich predige und ihre Verwandten beerdige.“
„Nach wie vor liebt die Kirche ihre homosexuellen Schäfchen allerdings ein bisschen weniger als die anderen. Katholische Kirchenvertreter machen daraus keinen Hehl. In der evangelischen Kirche gibt man sich gerne progressiver, sie fordert mehr Akzeptanz. Dass gleichgeschlechtliche Paare sich verpartnern – für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist das okay. In einigen Landeskirchen ist sogar die Segnung von Lesben und Schwulen erlaubt. „Trotzdem haben meine Frau und ich keine offizielle Urkunde bekommen, nicht mal einen Eintrag ins Kirchenbuch“, sagt Jessica Diedrich.
Aus der Kirche auszutreten war für Diedrich dennoch keine Option. Stattdessen praktiziert sie ihren Glauben, wie sie ihn als lesbische Frau fühlt. Singt in Kirchenliedern manchmal „Herr“ statt „Gott“. Fügt sich nicht dem klassisch-männlichen Gottesbild. Im Gottesdienst habe das noch niemanden gestört.
Klaus Pantle hat während seiner Zeit als Gemeindepfarrer festgestellt, wie sehr die juristisch verfasste und die gelebte Wirklichkeit in der evangelischen Kirche auseinander klaffen – gerade in der Landeskirche Württemberg. Dort ist die öffentliche Segnung von Lebenspartnern illegal. „Trotzdem wird es gemacht, mit Orgelmusik, feierlichem Einzug des Paares, das ganze Programm“, sagt Pantle, „teilweise sogar von evangelikalen Pfarrern.“ Von genau denen, die ihrem Eheverständnis nach auch bei den Katholiken eine gute Figur abgeben würden.
PfarrerInnen, die in Württemberg solche Segnungen vornehmen, könnten disziplinarisch belangt werden. Er selbst habe das aber nie erlebt, meint Pantle. Schon in den achtziger Jahren wären homosexuelle Kirchenvertreter nicht daran gehindert worden, ihre Sexualität auszuleben. „Das habe ich schon gemerkt, als ich ins Vikariat kam“, sagt Pantle. Damals hätte im Pfarrhaus über ihm ein schwuler Kollege gewohnt. Einmal platzte er versehentlich in die Wohnung. „Ich dachte, ich wäre beim Leder- und Bärentreff.“ Aufsehen, ein Skandal? Nicht wirklich.
Es will nicht zusammenpassen: Im evangelischen Glaubensalltag scheinen Lesben und Schwule in beinahe rührseliger Harmonie mit ihren Mitgläubigen zu leben. Auf dem Papier bekennt sich die Kirche nicht zu ihnen. Am LuK-Informationsstand in Stuttgart weiß man darauf keine Antwort. Achselzucken, fragende Blicke. Da kommt ein etwa 50-jähriger Herr, Typ: verstockter Familienvater. Faselt was von Schönheit und Frauen. Davon, dass er sich diskriminiert fühlt. Die Frauen am LuK-Stand wollen nicht weiter diskutieren. Mehrere Male kommt er zurück, wird polemisch. Trotzig. Er nervt.