: Schmeißt sie doch ins Meer!
SYMBOLIK Ein „Mahnender Mühlstein“ soll gegen Kindesmissbrauch protestieren. Die Botschaft, die er mittels eines Bibelzitats verbreitet, ist reichlich fragwürdig. Kein Problem für den Senat
KATRIN MÖLLER (LINKE)
Stellen Sie sich Folgendes vor: Ein Verband, der Hinterbliebene von Mordopfern betreut, errichtet in Berlin ein Mahnmal in Form einer Dampfwalze. „Wer Menschen umbringt, gehört plattgemacht“ steht daran. Wäre das nur geschmacklos? Oder ein Aufruf zur Selbstjustiz?
Tatsache ist: In Berlin steht ein solches „Mahnmal“, auch wenn es anders aussieht und eine andere Tätergruppe ins Visier nimmt: der „Mahnende Mühlstein“, aufgestellt von der „Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen“. Tatsächlich ist es ein tonnenschwerer Stein, der auf einem Platz am Bahnhof Friedrichstraße ruht und in den Folgendes graviert ist: „Wer aber einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, dem wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein an den Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde. Matthäus, Kap. 18, Vers 6.“
Die Abgeordnete Katrin Möller (Linke) stieß zufällig auf den Stein und nahm Anstoß – auch daran, dass der Senat in Person von Gesundheitsstaatssekretärin Emine Demirbüken (CDU) mit einem Grußwort an der Enthüllung teilnahm. Mit Fraktionskollege Wolfgang Albers setzte Möller eine Schriftliche Anfrage auf. „Befürchtet der Senat nicht“, heißt es da, „dass die kommentarlose Darstellung dieses Verses und die gewählte Symbolik (…) in der gesellschaftlich notwendigen Debatte um die Problematik des Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen eher geeignet ist, die bekannten Forderungen nach der Todesstrafe für Kinderschänder zu bedienen (…)?“
Die Antwort gab Demirbüken selbst. Der „Veranstalter“ habe diesem Vorwurf „immer wieder energisch widersprochen“ und betont, dass „kein Rachefeldzug gegen die Täter“ intendiert sei. So habe auch sie die Aktion in ihrem Grußwort interpretiert. „Für mich versinnbildlicht dabei der Mühlstein zweierlei“, zitiert Demirbüken aus der eigenen Ansprache: „zum einen die lebenslange Belastung der Opfer und zum anderen die Schwere und Grausamkeit des Tuns der Täter.“
So kann man es sehen – wenn man will. Katrin Möller findet es weniger eindeutig: „Ich bin entsetzt, dass das in der Antwort nicht einmal hinterfragt wird“, sagt sie zur taz. „Natürlich rechtfertige ich solche Taten nicht. Aber die Forderung nach Todesstrafe für Sexualtäter ist eine typische rechtsextreme Position.“ Richtig: In Leipzig, der einzigen Stadt, die die Aufstellung des Steins bisher ablehnte, gab es prompt Kritik von der NPD.
Albers und Möller weisen auch darauf hin, dass das Land Berlin an der Charité Maßnahmen fördere, die sich an potenzielle Täter wenden: die Forschungsprojekte „Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch im Dunkelfeld“ und „Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch durch Jugendliche“. Diese Arbeit schätze man natürlich sehr, antwortete Demirbüken nur knapp, einen unmittelbaren Zusammenhang zur Mühlstein-Aktion sehe man aber nicht.
Das Bibelzitat selbst ist übrigens aus dem Zusammenhang gerissen: Jesus, von dem der Spruch laut Matthäus stammt, bezog sich weder im engeren Sinne auf Kinder noch auf sexuellen Missbrauch. Ihm ging es um negative Einflüsse, die einfache Menschen vom Glauben an Gott abfallen ließen. CLAUDIUS PRÖSSER