: Der Patriarch verlässt die Familie
SEPP 40 Jahre hat Sepp Blatter die Fifa in leitenden Funktionen geprägt. Er hat aus dem Weltfußballverband ein Unternehmen mit Milliardenumsatz gemacht. Sein System: Begünstigungen, Dankbarkeit und Loyalität
Prinz Ali bin al-Hussein war als alleiniger Herausforderer Blatters die Hoffnung der Uefa bei der Wahl am Freitag. Er versuchte sich im Wahlkampf als Reformer zu profilieren und versprach brav transparentere Strukturen. Nach Blatters Rücktritt warf er seinen Hut sofort wieder in den Ring. Mit konkreten Politikvorstellungen fiel der 39-Jährige indes nicht auf. Die Untersuchungsberichte der WM-Vergabe 2018 und 2022 will er zwar veröffentlichen, die Turniere aber unabhängig von den Erkenntnissen in jedem Fall in Russland und Katar stattfinden lassen. Er will keinem auf den Schlips treten. Eine durchaus mehrheitsfähige Haltung. SER
VON JOHANNES KOPP
BERLIN taz | Er wirkte sehr verloren am Dienstagabend bei der Verlesung seiner Rücktrittserklärung in Zürich. „Mit dem Fußball verheiratet“, so hatte Sepp Blatter einst seinen Familienstand definiert. Wenn die Scheidung beim nächsten Fifa-Kongress endgültig bewältigt wird, ist er nach 40 Jahren wieder solo.
DES PRÄSIDENTEN LETZTE WORTE
Fifa und Familie, das war für den 79-Jährigen stets gleichbedeutend. Diese häufig von ihm verwandte Analogie war weit mehr als nur ein Versuch, der Organisation ein menschliches Antlitz zu verleihen. Das Bild passte zum System Blatter. Familienmitglieder kann man sich nicht aussuchen. Man hält zu ihnen und verpetzt sie nicht, auch wenn ihre Macken noch so groß sind. Und die Familienehre steht ja vielerorts über Recht und Gesetz. „Wenn wir Probleme haben in der Familie, dann lösen wir die Probleme in der Familie und gehen nicht zu einer fremden Familie“, sagte Blatter einst.
Auch wenn derzeit vieles darauf hindeutet, dass die Ermittlungen der amerikanischen Behörden, die sich zuletzt bedrohlich der Zentrale der Fifa näherten, Blatter vom Rückzug überzeugten, machte er öffentlich einen anderen Grund geltend: „Obwohl ich von der Mitgliedschaft der Fifa ein Mandat habe, fühle ich nicht, ein Mandat von der gesamten Fußballwelt zu haben … Deshalb habe ich mich entschieden, mein Mandat niederzulegen.“ Blatter kann natürlich nur von seiner eigenen Familie als Oberhaupt abgesetzt werden und nicht vom FBI. Es verwundert nicht, dass Blatter bis zuletzt sein Weltbild propagiert. Die vielfach beschworene Autonomie des Fußballs ist in Gefahr – und damit ein lukratives Geschäftsmodell.
Scheich Ahmad al-Fahad al-Sabah ist ein Meister des Networkings. Derzeit gibt es unter den Sportfunktionären vermutlich keinen besseren Strippenzieher. Der ehemalige kuwaitische Minister für Propaganda organisierte bereits eine Mehrheit für den Deutschen Thomas Bach, der 2013 zum Chef des Internationalen Olympischen Komitees gewählt wurde. Seit letzter Woche sitzt al-Sabah im Exekutivkomitee der Fifa. Er beherrscht das Handwerk der Machtpolitik. Die Korruptionsvorwürfe gegen Katar, sich die WM 2022 erkauft zu haben, kanzelte der 51-Jährige als „rassistisch“ ab. Schluss also mit den Nachforschungen! Ein würdiger Blatter-Nachfolger. JOK
Die New York Times berichtete am Dienstag, dass die US-Ermittler der Ansicht sind, Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke habe im Jahr 2008 zehn Millionen Dollar von einem Fifa-Konto in der Schweiz auf ein US-Konto des Concacaf-Chef Jack Warner überwiesen (siehe links). Möglicherweise teilte auch Sepp Blatter das Wissen seines langjährigen Weggefährten Valcke. Glaubt man amerikanischen Medien, wird mittlerweile auch gegen den Fifa-Chef selbst ermittelt.
Und wer weiß, wie viel Kenntnis der Schweizer von der Veruntreuung der mehr als 100 Millionen Dollar im Concacaf hatte, die letzte Woche zur Festnahme von elf Funktionären führte. Blatter wusste schließlich auch – das ist gerichtlich verbürgt – von Zahlungen in der ISL-Affäre. Die Vermarktungsagentur International Sport and Leisure schmierte in den 90er Jahren für die Fifa-Rechteverwertung Blatters Vorgänger João Havelange und dessen Schwiegersohn Ricardo Teixeira mit knapp 14 Millionen Schweizer Franken.
Michel Platini ist seit Jahren der einzige prominente Gegenspieler von Sepp Blatter. Allerdings agierte der Uefa-Chef und einstige französische Nationalspieler bis vergangene Woche stets aus dem Deckungsschatten heraus. Er scheute die Niederlage gegen seinen einstigen Ziehvater Blatter und den Verlust des beschaulichen Fürstenlebens in seinem europäischen Reich. Wenn ihn aber jetzt alle ganz nett bitten, wird er schon nicht kneifen. Die Blatter-Getreuen sollen ja Vorbehalte gegen ihn hegen. Aber über Bestechungsaffären hinwegsehen kann er auch. Das hat er bereits bei der EM-Vergabe 2012 bewiesen. Und die WM in Katar findet er sowieso dufte. JOK
Derartiges Wissen ist Herrschaftswissen. Blatter kannte seine Schäfchen genau. Auf der Basis der zwielichtigen Geschäfte von Havelange baute Blatter nach seinem ersten Wahlsieg 1998 mit dem Verkauf von Lizenzen, Marketing- und TV-Rechten ein Wirtschaftsimperium auf. Das Geld schoss wie Erdöl aus immer neuen Quellen empor. Allein im Zeitraum zwischen 2007 und 2014 soll der gemeinnützige Weltfußballverein 4 Milliarden Euro umgesetzt haben.
Dass einzelne Funktionäre ungestraft für ihre privaten Zwecke abschöpfen konnten, stärkte das System Blatter. Die Begünstigten zahlten ihre Dankbarkeit durch Loyalität zurück. Die Stimme jedes Einzelnen war wichtig. Der hochkorrupte Jack Warner etwa aus Trinidad und Tobago hatte in der Fifa dasselbe Gewicht wie der DFB-Vertreter.
Greg Dyke fiel vor dem Rücktritt Blatters vor allem durch seine offensiven Forderungen auf. „Boykottiert die WM in Russland! England wird sich unter Blatter nicht mehr um eine Austragung bewerben!“ Der Chef des englischen Fußballverbands fand für seine Boykottpläne aber keine große Zustimmung. Dennoch könnte sein Willen zu Veränderungen als positives Zeichen gewertet werden und ihm bei einer Kandidatur Stimmen einbringen. Ob er zur Wahl antritt, ist nicht bekannt. Der 68-Jährige fühlt sich mit der Verbandsleitung des Fußball-Mutterlands ganz wohl. Unter Wettanbietern werden Dyke nur Außenseiterchancen eingeräumt. SER
Wenn Familienmitglieder wie Jack Warner oder der katarische Fußballfunktionär Mohamed bin Hammam aufbegehrten, wurde ein Teil des Herrschaftswissen plötzlich öffentlich. Bin Hammam zog 2011 seine Kandidatur zur Fifa-Präsidentenwahl zurück, als seine eigenen und Warners korrupten Machenschaften ans Tageslicht gerieten.
Der große Unbekannte könnte ein ehemaliger Fußballprofi sein. Oder eine der drei Frauen aus dem Exekutivkomitee? Jemand, der angesichts der neuen Chancen Ambitionen für eine Kandidatur entwickelt? Klar ist: Der Unbekannte bräuchte nicht nur den Willen zu Reformen, er bräuchte die Unterstützung mehrerer Konföderationen. Will der Unbekannte also Siegchancen bei der Neuwahl haben, muss er zum einen beliebt und gut vernetzt sein, zum anderen mit klaren Visionen einer neuen Fifa die Stimmen der Mitgliedsverbände für sich gewinnen. Dafür kommen durchaus auch weltbekannte Exprofis infrage. Der Unbekannte muss viel können. SER
Wenn Blatter dann beim nächsten außerordentlichen Kongress des Weltfußballverbands, der zwischen Dezember 2015 und April 2016 stattfinden soll, sein Amt niederlegt und sein Nachfolger bestimmt wird, wird das System der Fifa ordentlich durcheinandergerüttelt werden. Als Familie wird das Bündnis in den nächsten Monaten kaum funktionieren. Zu viele haben sich in der Vergangenheit bereits die Hände schmutzig gemacht. Im Kampf um die Nachfolge von Blatter werden die jeweiligen Streitparteien keine Verwandten mehr kennen. Bereits jetzt beginnt das Spiel, das ins Spiel gebrachte Kandidaten sofort ihrer Untauglichkeit überführt werden.
Uefa-Chef Michel Platini, erklärte etwa der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger, sei denkbar ungeeignet, Blatter zu beerben. „Das halte ich für Unsinn. Jemand, der für die Austragung des WM-Turniers in Katar gestimmt hat, kann nicht Fifa-Präsident werden.“ Die Suche nach einem geeigneten Kandidaten könnte schon ein erster hilfreicher Reinigungsprozess für die Fifa sein.
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