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Archiv-Artikel

Hätte, hätte, Logistikkette

INTELLIGENZ Wie der Hafen der Zukunft aussieht, lässt sich bereits jetzt in Hamburg besichtigen: Dorthin lässt der Schuhgigant Deichmann seine Container mit Riesenschiffen transportieren. Ihr Weg von China bis zum Bahnhof an der tschechischen Grenze wird dabei lückenlos von seiner Logistikzentrale in Essen überwacht

VON FLORIAN MARTEN

Gleich drei Schlepper sind es diesmal, einer vor dem Bug, zwei, die das mächtige Heck stabilisieren, als sich am Samstagvormittag bei prächtigstem Wetter und strammem Westwind der Containerriese „CMA CGM Kerguelen“ auf seiner Jungfernfahrt von China in den Hafen schiebt.

Es ist Samstag, der 15. Mai 2015, und schon wieder ein Rekordschiff, das dieses Jahr den Containerterminal Burchardkai erreicht.

Knapp 18.000 Standardcontainer (TEU) kann dieser 400 Meter lange und 54 Meter breite Koloss transportieren. Er ist das erste Schiff einer neuen Baureihe der französischen Reederei CMA CGM. Die „Kerguelen“ wird Hamburg in ihrem 77 Tage dauernden Umlauf Asien–Nordeuropa jetzt regelmäßig anlaufen. Das nächste Mal laut Fahrplan am 29. Juli.

Experten der Technischen Universität Harburg hatten dieses Ereignis vorausgesehen: Der Logistikexperte Günther Pawellek beschrieb in einer Studie „Wirtschaftlichkeit von Containerschiffen“ bereits vor über zehn Jahren, wie sich die Größe der Containerschiffe von 9.000 TEU auf 18.000 TEU im Jahr 2015 verdoppeln würden.

Das Dilemma, so der Wissenschaftler: Während die immer größeren Schiffe sich für die Reeder dank der immer niedrigeren Kosten pro Container rechnen, müssten Häfen und Hinterlandsysteme enorm investieren, um diese Warenmengen zu verdauen. Der öffentlichen Hand, welche Infrastruktur und Häfen finanziert, sowie den Terminalbetreibern würden damit gewaltige Zusatzlasten aufgebürdet.

Genau das ist inzwischen eingetreten. War vor einigen Jahren im Hamburger Hafen der Umschlag von 4.000 TEU pro Schiffsanlauf schon eine ganz große Nummer, sind 12.000 TEU inzwischen keine Seltenheit mehr – das entspricht rund 8.000 Lkw-Ladungen oder rund 150 Containerzüge für ein einziges Schiff. Damit die Reeder die Kostenvorteile ihrer Großschiffe nicht durch längere Liegezeiten im Hafen verlieren, erwarten sie, dass die Aufenthaltsdauer der Schiffe auch weiterhin die bislang üblichen 48 Stunden möglichst nicht überschreitet. Der dänische Weltmarkführer Maersk hat bereits Anfang 2014 in einer internen Kundeninformation für die Terminalbetreiber entsprechende Leistungsziele für den Containerumschlag im Hafen formuliert.

Hauptproblem für die Häfen: Warenfluss und Informationsfluss laufen längst noch nicht parallel – Störungen in einem Teilbereich haben oft fatale Folgen. Verspäten sich beispielsweise die Schiffe massenhaft, wie im ersten Halbjahr 2014, verstopfen die Containerlager auf den Terminals und die Hinterlandsysteme brechen zusammen.

Seither liegt das Hauptaugenmerk aller Beteiligten an einer besseren Verzahnung aller Prozesse. Ein Vorbild dafür ist seit einigen Jahren der nordrhein-westfälische Schuhgigant Deichmann. Mit einem Absatz von mehr als 170 Millionen Paar Schuhen ist Deichmann unangefochtener Marktführer in Europa. Seine Logistikzentrale in Essen hat ständig den kompletten Überblick über den Warenfluss: von der Produktion im chinesischen Schuhrevier in Wenzhou bis zu den europäischen Deichmannshops.

Ein typischer Transportweg läuft von Whenzou per Bahn zum Hafen Ningbo in China. Dort wird die „CMA CGM Kerguelen“ laut Fahrplan am 24. Juni wieder eine erhebliche Anzahl von Schuhcontainern an Bord nehmen. Zu diesem Zeitpunkt nehmen die Logistiker der französischen Reederei bereits einen ersten Kontakt mit dem Hamburger Terminal Burchardkai auf. Der dortige Schiffsplaner erhält eine Voranmeldung für den 24. Juli und kann die Terminalauslastung für diesen Tag vorbereiten.

Gleichzeitig kümmert sich Deichmann bereits um den Weitertransport von Hamburg aus. Neun große Schuhverteilzentren besitzt die Gruppe in Europa. Eines der jüngeren wurde 2009 mitten in der Wirtschaftskrise direkt an der slowakisch-ungarischen Grenze errichtet, direkt neben einem Containerbahnhof der HHLA-Bahntochter Metrans in Dunajska Streda. Von dort werden die Deichmann-Schuhe in Österreich, Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Rumänien ausgeliefert.

Deichmann profitiert dabei vom Shuttlesystem der Bahngesellschaft: Mehrmals täglich pendeln Züge zwischen der Slowakei und den norddeutschen Häfen Hamburg und Bremerhaven. Am Burchardkai werden die Züge sogar komplett auf dem Bahnhof des Terminals beladen.

Die Software von Deichmann versteht sich prächtig sowohl mit der von CMA CGM, des Burchardkais wie auch mit der von Metrans. Auf diese Weise kann Deichmann auf der fünf- bis sechswöchigen Reise seiner Schuhcontainer jederzeit flexibel reagieren. Aber auch Reederei, Terminalbetreiber und Bahngesellschaft können in Sachen Deichmann-Container präzise planen. Für die Unwägbarkeiten der langen Transportkette dienen der Burchardkai und die Containerdrehscheibe in der Slowakei als „Puffer“.

Normalerweise läuft es für alle Beteiligten weniger komfortabel. So können die konkreten Arbeitsabläufe für den nächsten Anlauf der „Kerguelen“ am 29. Juli vom Schiffsplaner des Burchardkais erst zwei Tage vorher geplant werden, wenn die „Kerguelen“ am 27. Juli Southampton verlässt. Dann kann zwar das Laden und Löschen vorbereitet werden, oft ist aber noch unklar, wann und wie die Container abgeholt werden. Die Folge: Das Containerlager auf den Terminals, heute der größte Engpassfaktor, lässt sich nur unzureichend planen, es kommt zu Staus in der Transportkette.

Terminalbetreiber, Hafenbehörden, Lotsen sowie Wasser- und Schiffsdirektionen versuchen, den Güterstrom flüssiger zu gestalten: Es soll Anmeldeslots für Lkws geben, die Shuttleverkehre auf der Schiene sollen ausgeweitet, der Schiffsverkehr auf der Elbe und im Hafen besser koordiniert werden.

Doch bei allen Zwischenerfolgen – der Druck der großen Pötte lässt nicht nach. So hat die französische Reederei CMA CGM bereits die nächste Generation von Großschiffen in Auftrag gegeben. Sie werden Platz für 20.500 Standardcontainer bieten.