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Archiv-Artikel

Der Ton als körperlicher Zustand

KLANGKUNST Solos für Bassklarinette – das gibt es nun auf dem Album „AOUIE“ von Susanna Gartmayer zu hören. Der Weg bis zu diesem Solodebüt war lang, manchmal musste die Wiener Musikerin sich durchboxen. Ein Porträt

Außerdem musiziert Gartmayer auf selbstgeschnitzten Instrumenten aus Gemüse

VON FRANZISKA BUHRE

Inmitten gewaltiger Gitarrenriffs, von Bassspiralen umkreist und unter Salven der Drums ist diese Bassklarinette Trumpf: Sie kann die Gesangsstimme zart umwogen, ein somnambules Wiegenlied in ein Horrorszenario verwandeln, eine drohende Katastrophe genüsslich andeuten, mit Knattern und Schnarren die anderen Instrumente auf sich vereinen.

In der Noiserockband Broken.Heart.Collector bringt Susanna Gartmayer wohlklingende Melodien und die schaurig-schönen Effekte ihres Instruments subtil zur Geltung. Auf der Bassklarinette erreicht sie Stimmungen von weich bis brachial, spielt festgelegte und lose verabredete Musik, freie Improvisationen und Eigenkompositionen. Wien ist ihre Wirkungsstätte. Hier behielt sie ihren langen Atem auch in Männerdomänen, traf in Netzwerken auf Gleichgesinnte und wagt nun den Schritt aufs Solo-Podium.

Als Kind spielte die 40-Jährige Blockflöte und lernte schließlich Klavier. „Reines Üben war für mich unvereinbar mit meinem körperlichen Zustand“, erzählt Gartmayer im Gespräch. „Auf dem Altsaxofon ging das viel besser. Ich mag es, körperlich einen Ton zu formen, von innen heraus etwas zu machen mit dem Klang.“ Doch mit dem Saxofonlehrer stellte sich der Jugendlichen ein anderes Problem: „Er war an Swing ausgerichtet, aber diese Art von Musik hat mich nicht so interessiert.“

Von der Großmutter lernte sie dagegen bereits im Kindesalter, sich für Sängerinnen und Stimmkünstlerinnen wie Meredith Monk und Yma Sumac zu begeistern. Wie der Klarinettist Giora Feidmann grundlegende Gefühle und Seinszustände in seiner Klezmermusik ausdrückt, rührte zudem ihr eigenes Bedürfnis an, Emotionen musikalisch zu beschreiben. Als ihr das Studium der bildenden Kunst ernsthafte Zweifel am Sinn der Kunstausübung bescherte, machte sie die Bassklarinette zu ihrem Instrument.

Bei Grenzgängern wie Hans Koch, der zwischen Jazz, freier Improvisation und Elektronik mäandert, nahm sie Unterricht. Sie gründete Bands, etwa mit der Musikerin Petra Stump, die sowohl klassische als auch zeitgenössische Musik spielt, und mit Gerald Preinfalk, der vornehmlich am Jazzsaxofon zu hören ist. „Die haben mich ernstgenommen und unterstützt“, so Gartmayer. Anders als die ausnahmslos männlichen Musiker bei der Free-Jazz-Session, zu der sie einmal in der Woche ging. „Ich war jahrelang die einzige Frau dort, wurde nicht ernstgenommen und blöd angemacht.“

Einschüchtern ließ sich Susanna Gartmayer keineswegs. Über das Jazzpublikum sagt sie: „Die traditionelle Free-Jazz-Klientel will sich ‚ihre‘ Männer anschauen, mit denen es sich auf irgendeine Art identifiziert. Es stimmt aber einfach nicht, dass es in diesem Bereich keine Frauen gibt. Viele sind nur weniger bekannt. Zum Glück tut sich in der Szene langsam etwas, und mehr Frauen werden sichtbar.“

Außerdem musiziert Gartmayer seit zehn Jahren auf selbstgeschnitzten Instrumenten aus Gemüse im Wiener Vegetable Orchestra. Das 13-köpfige Ensemble aus MusikerInnen und KünstlerInnen ist, ebenso wie viele seiner Mitglieder, im Netzwerk klingt.org präsent. Gegründet vom Turntable-Improvisator Dieb13, eint die Plattform grenzüberschreitende musikalische Interessen und wirkt als Garant für Projekte, die Experimentierlust und professionelle Raffinesse ausstrahlen.

Versponnene Tricksereien

Gartmayer und die Spezialistin für DIY-Electronics, Tamara Wilhelm, sind auf klingt.org vertreten, auch mit der Band Möström, in der Elise Mory die Keyboards steuert. Ihr Debütalbum „We speak whale“ ist ein außergewöhnliches Ding: wohldosierter Lärm, versponnene Tricksereien mit Geräuschen, improvisatorische Spielmodule und ein Hang zu Fischen. Das Werk erscheint im Sommer auf dem queer-feministischen Label unrecords.

Kürzlich hat Gartmayer endlich ihr Solo-Debüt namens „AOUIE“ veröffentlicht. Die fünf Vokale im Titel verweisen auf die Mehrklänge, die sie auf der Bassklarinette erzeugt und die durch Verformungen im Mundinnenraum entstehen. Wenn gleichzeitig ihr Atem, die Klappengeräusche, maximal-komprimierte Töne, verzerrtes Rauschen und der Raumklang zu hören sind, wird die Bassklarinette zum Subjekt mit einem Eigenleben zwischen Industrial und menschlich erzeugter Musik.

In einem Stück spielt Gartmayer die Kontra-Altklarinette, ein tiefes, langes und schweres Instrument. „Man braucht ziemlich viel Luft beim Spielen“, sagt sie. „Sie klingt blecherner, aber ich kann die Mehrklänge mit ihr viel weiter in den Raum ausbreiten. Bei Konzerten spiele ich akustisch, das kann auch fürs Publikum eine Herausforderung sein, weil ich mich nahe an den Zuhörern bewege und verschiedene Positionen einnehme.“

Das Cover ihres Album hat sie selbst gestaltet: ein zart gezeichnetes Windrad mit fünf Flügeln. Es versinnbildlicht die Luft, nach der die Blasinstrumente verlangen und die sie wieder verströmen. „Wenn man sehr leise Töne spielt, ist das wie ein Zustand. Den Ton finde ich irgendwo, der ist eigentlich schon da, in meinem Körper.“

Susanna Gartmayer: „AOUIE. Solos for Bass Clarinet“ (Chmafuno Records)

Live: 20. Juni mit dem Vegetable Orchestra, Krongut Bornstedt; Solo, 21. Juni, Russische Kolonie Alexandrowska, Potsdam