„Ohne Angst aufs Meer“

JUBILÄUM Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger feiert ihr 150-jähriges Bestehen

■ 37, Sprecher der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger.

taz: Herr Stipeldey, wie oft fahren die Seenotretter heutzutage raus auf See?

Christian Stipeldey: Die Seenotleitung Bremen der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGZRS) koordiniert mehr als 2.000 Einsätze im Jahr. Eine solche Leitstelle hat jeder Küstenstaat, aber in anderen Ländern ist es eine Behörde. Das hat in Deutschland historische Gründe und ist seit Jahrzehnten bewährt. Die DGZRS ist mit ihren 150 Jahren deutlich älter als die Bundesrepublik.

Wie ist die DGZRS denn vor 150 Jahren entstanden?

Jahrhunderte lang ging man davon aus, dass wer zur See fährt, sich in Gottes Hände begibt. Im Zuge der Aufklärung engagierten sich die Menschen zunehmend sozial. Es war damals sehr weitblickend, die Finanzierung der DGZRS auf viele Schultern zu verteilen. Denn die Küstenbevölkerung war bitterarm: Niemand wäre allein für wenige „reiche Pfeffersäcke“ oder den anonymen Staat ins Ruderboot gestiegen, um unter Gefahr für das eigene Leben Schiffbrüchige zu retten. Für viele Spender aus dem ganzen Land hingegen schon.

Welche Rolle hatte die DGZRS in der Nazi-Zeit?

Sie existierte niemals im luftleeren Raum, aber eine Gleichschaltung im eigentlichen Sinnen blieb uns erspart. Unsere Aufgabe war zu unpolitisch und deshalb für die NS-Führung nicht interessant. Für kriegerische Handlungen konnte man die Schiffe nicht gebrauchen. Vielmehr waren sie „für Freund und Feind“ gleichermaßen verstärkt im Einsatz, vor allem abgeschossene alliierte Flugzeugpiloten wurden gerettet. So wie umgekehrt etwa die Briten deutsche Piloten retteten.

Wie viele Freiwillige gibt es heute?

Mehr als 800 Freiwillige sind in der Flotte aktiv, an Land über 550 Ehrenamtliche in der Öffentlichkeitsarbeit. Dazu kommen 180 festangestellte Seenotretter.

Sind nur Männer an Bord?

Wir haben inzwischen etwa 35 Frauen. Das ist relativ wenig, aber liegt daran, dass die Seenotrettung wie die gesamte Seefahrt noch immer eine Männer-Domäne ist.

Gibt es in der Rückschau besonders spektakuläre Fälle?

Wir können von Glück sagen, dass wir von Fällen mit vielen Schiffbrüchigen in den vergangenen Jahren verschont geblieben sind. Vor mehr als 20 Jahren kenterte die Fähre „Jan Heweliusz“ östlich von Rügen. Damals konnten nur neun von 63 Passagieren gerettet werden. Das war dramatisch. Ansonsten können auch kleinere Einsätze schnell gefährlich werden – nicht nur bei schlechtem Wetter. Die Seenotretter fahren ohne Angst raus aufs Meer, aber immer mit dem nötigen Respekt.  INTERVIEW: JPB

13 Uhr, Marktplatz, Jubiläumsprogramm. 14 Uhr, Festakt im Rathaus