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Archiv-Artikel

Fado für die Facebook-Generation

FADO-POP Auf „Canto“ steuert Portugals Fado-Jungstar Carminho neue Ufer an, betreibt Heimatkunde und landet sogar in Brasilien

„Ich erinnere mich nicht mehr an den Tag, an dem ich begonnen habe, Fado zu singen“, sagt Carminho. „Ich weiß ja auch nicht mehr, an welchem Tag ich anfing zu sprechen. Fado lernt man wie seine Muttersprache: es gibt keine Bücher, Schulen, Theorien, die man zu Rate ziehen kann“, behauptet sie frisch.

Der Fado wurde Carminho allerdings auch schon in die Wiege gelegt. Als Tochter der Fadista Teresa Siqueira wuchs sie mit den Konzertabenden ihrer Eltern auf. Schon mit zwölf stand sie auf der Bühne des großen Coliseu von Lissabon, und kaum dem Teenageralter entwachsen, war sie mit Zahnspange in Carlos Sauras Musikfilm „Fados“ zu sehen. Ihre Karriere verlief so steil, dass sie selbst Angst bekam und erst einmal ein Jahr in Asien als Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation verbrachte, bevor sie ihr Debütalbum aufnahm.

Als das erschien, lag ihr das Publikum zu Füßen, und Kritiker lobten sie als eine der größten Stimmen, die das Land jemals haben werde. Allein die Titel ihrer beiden ersten Alben von 2009 und 2012, „Fado“ und „Alma“ („Seele“) sind so monolithisch gewählt, als ginge es hier um zeitlos Gültiges. Dass sie ihr Genre so souverän beherrscht, gibt ihr die Freiheit, in andere Stile zu wechseln. So landete sie mit dem spanischen Popstar Pedro Alborán den Nummer-eins-Hit „Perdoname“, sang mit Milton Nascimento, arbeitete mit dem Elektroniker Nicolas Jaar.

Carminho, so lehrt ein Blick auf die 300.000 Likes ihrer Facebook-Seite, ist ein Massenphänomen, und gerade für viele Junge ist sie eine Ikone. „Die jungen Portugiesen hören immer mehr Fado“, bekräftigt Carminho. „Der Fado ist wie ein Motor, der stetig an Kraft gewinnt. Wir sind ein kleines Land, und die Waffe, mit der wir in der Welt bestehen können, ist unsere Kultur. In dieser schwierigen Phase, die gerade die Jungen durchleben müssen, ist es klar, dass sie sich auf die Suche nach ihrer Identität machen“, findet die Sängerin.

Zusammen mit ihrem Ehemann, dem Gitarristen Diogo Clemente, hat sie ihren Fado auf „Canto“ merklich geöffnet. Sie geht in Brasilien vor Anker, hat vom Verehrer Caetano Veloso und seinem Sohn Tom die schlichte Ballade „O Sol, Eu E Tu“ entlehnt, singt im Duett mit Marisa Monte. In schwungvollen, wuchtigen und frischen Exkursionen feiert sie aber auch Portugals Vielfalt, und betreibt ein wenig Heimatkunde. „Diese Platte hat mehr Perkussionsanteile, mehr Rhythmus. Ich habe erkannt, dass in meinen Wurzeln mehr drinsteckt als die Liebe zum Fado. Zum Beispiel Folkloreformen vom Süden bis hoch zur Beira Alta, die Janeiras oder die Corridinhas aus dem Algarve, wo ich viele Jahre meiner Jugend verbracht habe.“ Indem sie an diese Stile erinnert, die international weniger bekannt sind, macht Carminho klar, dass Portugal mehr als nur Fado ist.

STEFAN FRANZEN

■ Carminho: „Canto“ (Warner)