: Unbequem, sperrig und so viel Lärm
FILM Mit „It’s gonna blow!!!“ bekommt man Einblick in den musikalischen Underground von San Diego, der – nach dem großen Nirvana-Hype – sogar mal als das neue Seattle gehandelt wurde. Am Sonntag ist die Dokumentation im Monarch zu sehen
Welch wunderbare Idylle sich zu Beginn dieses Films auftut! Aufgehübschte, geglättete Grünflächen wie auf Golfplätzen. Palmen, malerisch zwischen Felsen gelegen. Der Strand, die Surfer. So mancher dürfte zunächst ähnliche Bilder vor Augen haben, wenn er an die südkalifornische Stadt San Diego denkt.
Das San Diego, das in den 85 folgenden Minuten in der Musikdokumentation „It’s gonna blow!!!“ über die Undergroundszene dort von 1986 bis 1996 gezeichnet wird, ist ein anderes. Es ist eine schräge, eine teils avantgardistische, vor allem aber eine weitestgehend missachtete Seite San Diegos, die dieser Film, der am Sonntag im Kreuzberger Monarch Deutschlandpremiere hat, abbildet. Eine der diversesten und eigenständigsten Indie-Musikszenen der Postpunk-Ära fand sich in dieser Stadt zusammen, ohne dass die breite Öffentlichkeit davon Notiz genommen hätte – größtenteils gar, ohne dass man in San Diego selbst viel davon mitbekam.
In Interviews mit Bandmitgliedern, Managern, und Labelbetreibern sowie in Konzertausschnitten zeigt der Film, wie sich um die etwas bekannteren Gruppen wie der Punkrock-meets-Elvis-Combo Rocket From The Crypt oder der fiesen, sperrigen Noiseband Drive Like Jehu herum eine Szene bildete, die, als die gängige Form des Hardcore-Punk weitestgehend auserzählt war, nach neuen Formen des Ausdrucks in der Gitarrenmusik suchte.
So entstanden innerhalb einer Dekade ganz unterschiedliche Sounds aus ein und demselben Dunstkreis: Die Band Crash Worship etwa widmete sich mit Industrial-Sound und reichlich Maskerade dem Spektakel. Die Postpunk-Band Truman’s Water versuchte sich an einer Symbiose aus Hardcore, Noiserock und poppigen Klängen, später kamen Gruppen wie Three Mile Pilot oder No Knife melodischer, postrockiger daher.
Dass die dringend notwendig gewordene Innovation des Hardcore maßgeblich in San Diego über die Bühne ging, bemerkten in den frühen 90er Jahren dann doch auch die Musikmagazine und Musikmanager. Nachdem die Nirvana-Sache durch war, sollte San Diego das nächste Seattle werden. „Das war ein Ereignis, das niemals stattfand und das doch jeder erinnert“, sagt Ex-Truman’s-Water-Drummer Ely Moyal im Film über diese Zeit. Viele Bands bekamen Plattenverträge, einige auch bei Major-Firmen, aber der Durchbruch blieb bei den meisten aus. Dazu war das Gros der Bands zu unbequem, zu sperrig, zu lärmig. Nur Rocket From The Crypt durfte man auch mal auf dem Musikvideosender MTV begutachten.
In „It’s gonna blow!!!“ (der Titel geht auf eine Truman’s-Water-Liedzeile zurück) zeigt sich auch, dass es in San Diego sehr männlich dominierte Kreise waren, während es andernorts schon heterogener zuging. Dass dies nicht thematisiert wird, ist eine der wenigen Schwächen der von Regisseur Bill Perrine 2014 fertiggestellten Dokumentation. Auch die politische Dimension, die es zumindest bei Bands wie den fantastischen Swing Kids oder Unbroken zweifelsohne gab, bleibt unerwähnt. Ebenso, warum es dann eine Welle an Bandauflösungen nach 1996 gab.
Die Geschichte einer musikalischen Erneuerung aber erzählt Perrine in stimmigen Bildern zu oft dissonanten Tönen. „Die Bands, die die meiste Presse kriegen oder am bekanntesten sind, haben für mich nie San Diego ausgemacht“, sagt Glen Galloway (ehemals Truman’s Water) im Film, „deshalb waren sie noch lange nicht musikalisch relevant.“ Ironischerweise wurden später Blink 182 und die Songwriterin Jewel Kilcher mit sehr eingängigen Klängen zu den musikalischen Exportschlagern San Diegos. Das passt dann schon eher zu Strand und Surfern und glattem Rasen. JENS UTHOFF
■ „It’s gonna blow!!!“, Monarch, Skalitzer Str. 134, Sonntag, 21 Uhr