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Archiv-Artikel

Auf der Goldwaage

SPRACHE Herfried Münkler steht in der Kritik, ein Blog nimmt seine Vorlesungen unter die Lupe. Dem Professor werden Rassismus, Sexismus und Militarismus vorgeworfen

Herfried Münkler

■ Jahrgang 1951, gebürtiger Hesse, Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Politische Theorie und Ideengeschichte, lehrt seit 1992 als ordentlicher Professor an der Humboldt-Universität. (taz)

VON ANNA BORDEL

„Blabla auseinandernehmen“ steht auf einem Aufkleber am Pult eines Hörsaals der Humboldt-Universität (HU). Der Aufkleber verweist auf das Blog Münkler-Watch, der eine kritische Auseinandersetzung mit den Vorlesungen des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler bietet. Der große, sogenannte Kinosaal ist gut gefüllt. Auf einem Aufkleber einige Pulte weiter steht „Rassismus, Sexismus, Militarismus?“ – das ist es, was die Mitglieder der anonymen Gruppe Münkler in ihren Blog-Einträgen vorwerfen.

Seit Anfang des Sommersemesters 2015 kritisiert eine Gruppe anonymer Studenten auf Münkler-Watch jede Vorlesung von Herfried Münkler. Sie halten ihm vor, abseits des wissenschaftlichen Kanons nach Theorien über Frauen oder Nichteuropäern zu suchen. Außerdem, so die Vorwürfe, räume der Professor dem Militär eine zu große Rolle ein und militarisiere die Sprache.

Der Politologe Herfried Münkler lehrt seit 1992 an der HU, nebenbei arbeitet er unter anderem im Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.

„Erbärmliche Feiglinge“

In der Veranstaltung der vergangenen Woche reagierte Münkler erstmals auf das Blog. Der Professor nannte die anonyme Gruppe „erbärmliche Feiglinge“ und sagte, er werde das nicht zurücknehmen, solange die Verantwortlichen nicht vor ihm auftauchen – bis heute ist das nicht geschehen.

„Es ist eine eigentlich unerträgliche Situation, unter diesen Umständen der permanenten Denunziationsdrohung mit sinnentstellenden bis das Gegenteil des Gesagten behauptenden Zitaten eine Vorlesung halten zu müssen“, sagte Herfried Münkler der taz. Es sei in seiner Situation sicher denkbar, die Vorlesung abzubrechen, aber den anderen Studenten gegenüber sei das unfair. „Deswegen kommt diese Option für mich nicht infrage.“

Die HU-Leitung stellte sich hinter den Politikwissenschaftler. „Jedes Mitglied der Universität kann ohne Angst wissenschaftliche Auffassungen äußern und zur Diskussion stellen“, hießt es in einer Stellungnahme. Die Studenten sollten ihre Anonymität verlassen.

Wie einer, der wegen eines Studenten-Blogs darüber nachdenkt, seine Vorlesung einzustellen, kommt Münkler an diesem Dienstagmorgen nicht daher. Er beginnt mit einigen sarkastischen Bemerkungen zu Münkler-Watch. Seine Bücher würden sich dank der Öffentlichkeit viel besser verkaufen. Schlechte Nachrichten gebe es aber auch: „Das Lesen des Blogs, die Pressegespräche, das kostet mich alles zu viel Zeit. Ich habe darauf keine Lust, deshalb höre ich ab jetzt auf, mich mit Münkler-Watch zu beschäftigen.“ Einige Studenten klopfen daraufhin zustimmend auf die Tische. Jemand ruft: „Ich fühle mich von den Aufklebern belästigt. Bitte nach der Vorlesung aufräumen!“ Münkler verkündet noch, dass er mit der Beschimpfung „Erbärmliche Feiglinge“ genau dieses Echo und die mediale Debatte habe erzielen wollen.

„Jetzt wurde darüber eine Woche diskutiert, jetzt, denke ich, hat sich die Sache erledigt, und keine Zeitung wird wohl viel länger darüber berichten. Verfolgen Sie mit mir, ob meine Strategie aufgeht.“ Und dann wendet er sich seinem Vortrag über Souveränität und Infrastruktur der Macht zu. Es kommen Gedanken und Taten der klassischen Staatsdenker zur Sprache: Hobbes, Bodin, Macchiavelli. Die Bücher von Hannah Arendt werden in einem Satz erwähnt. Immer mal wieder spielt er sarkastisch auf das Blog an und beginnt Sätze mit: „Auf die Gefahr hin, militaristisch zu sein …“

„Blabla auseinandernehmen“ – ein Aufkleber verweist auf das Blog Münkler-Watch

Dem Militär, das historisch gesehen zu einem souveränen Staat gehöre, widmet er nach eigenen Angaben diesmal nur wenig Zeit. Eine Auswirkung von Münkler-Watch?

Pressewirbel um Blog

Münkler-Watch kommentiert nach dieser Veranstaltung zumindest: „Wohl angesichts des Pressewirbels und der anwesenden Journalist_innen zeigt Prof. Dr. Münkler, dass er Vorlesungen halten kann, in denen er nicht Rassismen und Sexismen reproduziert.“ Er habe sich diesmal Mühe gegeben.

Eine Teilnehmerin der Vorlesung versteht den öffentlichen Rufmord eines Individuums nicht. Wäre der Professor nicht so populär wie Münkler, könne ihn dieser Blog seine Karriere kosten, meint sie. Andere finden Münklers Sarkasmus im Bezug auf das Blog absurd: „Wieso tut er den Sachverhalt so sarkastisch ab? Wieso beschäftigt er sich gar nicht mit den inhaltlichen Kritikpunkten des Blogs?“ Die Kritik sei nicht nur eine, die für Münkler gilt, sondern für politische oder historische Theorie im Allgemeinen, wie manche auf Münkler-Watch kommentieren. Damit, die Tatsache anzuprangern, dass abseits des gängigen wissenschaftlichen Kanons nicht nach Erwähnenswertem gesucht wird, scheint Münkler-Watch immerhin einen Kern getroffen zu haben.