KORREKTES VERHALTEN ERFORDERT BEI MIR NACH WIE VOR MÜHSAMES ABRUFEN BESSEREN WISSENS : Allumfassende Erneuerung im Frühling
ULI HANNEMANN
Endlich ist der Frühling da. Zahlreiche Menschen nutzen den warmen Sonnentag, um ihr Leergut zum Pfandautomaten bei Edeka zu bringen.
„Stehst du auch an?“, frage ich einen in Eleganz und Würde ergrauten, fast noch jungen Mann, der im Hintergrund mit einer Kiste leerer Flaschen wartet. Er kommt mir irgendwie bekannt vor.
Er bejaht. In der Reihe vor ihm schieben noch drei andere Frühlingsboten ihre umfangreichen Flaschensammlungen in den Apparat. Es ist nun mal Monatsende. Das Geld ist alle, die Menschen versetzen ihre letzten Reserven. „Da könntest du doch mal deine Kolumne drüber schreiben“, spricht mich der Graumelierte aus heiterem Himmel an. Aha. Bei ihm handelt es sich wohl um einen taz-Redakteur, wenngleich ich gerade nicht auf den Schirm bekomme, um welchen. Aber die wohnen ja jetzt fast alle in der Gegend. Sie imitieren mich, meine Frisur, meine Kleidung, meinen Schreib- und meinen Lebensstil. Ich finde es faszinierend, wie sehr sie mich bewundern, aber eigentlich auch ein bisschen traurig.
Woran man taz-Mitarbeiter erkennt und wie sie aussehen? Das ist einfach: Sie sind klug und schön. Das gilt natürlich nur für die festen. Wir freien Mitarbeiter sind längst nicht so clever. So wäre ich zum Beispiel niemals auf die Idee gekommen: eine Kolumne über Leute, die am Edeka-Pfandautomaten stehen. Das ist so unbeschreiblich crazy. Eine Kolumne. Über Leute! An Pfandautomaten!! Bei Edeka!!! Avantgarde meets Arthouse greets Apokalypse. Und natürlich sind wir Freien nicht so schön. Sehr frei nach Janis Joplin ist „frei“ hier ohnehin nur ein Euphemismus für unstete, hässliche kleine Schreibtischtäter. Muss ich noch eigens dazusagen, dass das Leergut des taz-Manns ausschließlich Etiketten freidrehender Bio-Gemüsesäfte trägt, während in meinem zerschlissenen Militärrucksack nichts als leere Pfandschnapspullen klirren? Muss ich nicht.
Aber ich arbeite schon schwer an meiner Schönheit. An der äußeren, an der inneren und an der meines Balkons. Schließlich leide ich darunter, für einen geistlosen, unsensiblen Klotz ohne jeglichen Sinn für Ästhetik gehalten zu werden. Zu Hause bepflanze ich meine Blumenkästen mit Blümchen, die ich vom Pfandgeld gekauft habe. Das wird mich kathartisch kärchern, läutern und weichspülen. In Zukunft werde ich als der sanfte Riese gelten. Oder als das Schaf im Wolfspelz. Der feste Mitarbeiter im freien. Und nicht mehr bloß als „Schreibschwein“ wie bisher.
Das Balkonblümchen ist ein Symbol für die allumfassende Erneuerung im Frühling. Brahma, Wischnu und Schiwa. Bauhaus, Edeka und Gartencenter. Auf dem Balkontisch stelle ich die Blümchen nach Farben geordnet nebeneinander bereit.
Das weiße Blümchen geht superleicht in die Erde. Passt, wackelt und hat Luft. Fängt sofort an zu wachsen. Von meiner Hände ehrlicher Arbeit, an meinen Fingern klebt die gute Krume unserer Mutter Erde. Lange nicht mehr habe ich mich so lebendig gefühlt. So nützlich. Dann das blaue Blümchen. Die Königsdisziplin. Geschmeidig grüßt es nach zehn Sekunden aus dem Kasten. Das rote Blümchen. Ein eigenwilliger Kauz und doch stets zu Diensten. Das gelbe Blümchen, Freund der Hummeln, Vögel und Fruchtfliegen.
Doch das lila Blümchen macht Schwierigkeiten. Geht erst schwer aus dem Topf. Labbert beim Einpflanzen widerspenstig hin und her. Und dann gehen dabei auch noch zwei so Ärmchen ab. Oder Zweige oder Äste oder wie das bei den Blumen eben heißt. Ich fluche. Die verdammte Scheißalte in dem Scheißblumenladen hat mich beschissen. Das lila Blümchen ist ein Arschlochblümchen.
Ich überlege gerade, ob ich es zertrete oder über die Brüstung werfe, da geht unter meinem Balkon eine Frau den Bürgersteig entlang. Hui. Ganz süß eigentlich. Ehe ich mich versehe, habe ich schon so ein tschilpendes Kussgeräusch ausgestoßen. Scheißfrühling – da ist das Eis der Zivilisation anscheinend ganz besonders dünn. Ein kleiner Cat-Call konterkariert komplett die Blümchenpflanzaktion. Korrektes Verhalten erfordert bei mir nach wie vor mühsames Ringen um das Abrufen des besseren Wissens, während das innere Arschloch federleicht vom Instinkt dahingesteuert wird. Umgekehrt wäre es mir lieber. Zum Glück hält sie mein Tschilpen für einen Vogel.