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Archiv-Artikel

Der unwahrscheinliche Pflanzenreichtum

3-D-WALD Biologe ist Daniel Steegmann Mangrané zwar nicht geworden, der tropische Regenwald beschäftigt den spanischen Künstler trotzdem. Mit High Tech dringt er ins Dickicht und bricht mit gängigen Perspektiven

Mit der Brille vor den Augen kontrollieren wir zwar den Blick auf den virtuellen Wald, aber unser Körper bleibt zurück

VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

Von der Decke hängt an einem langen Kabel eine Oculus-Rift-Datenbrille im Galerieraum. Wer sie sich aufsetzt, sieht einen kleinen Ausschnitt aus einer 3-D-Landschaft. Das vorerst statische Bild entfaltet sich mit den eigenen Körperbewegungen. Sie werden an eine Software übertragen, die umgehend neue Ansichten berechnet. Mit jedem Schritt und jeder Änderung der Blickrichtung dringt man so weiter in die virtuelle Welt ein. Die Außenstehenden sehen hingegen nur eine Person mit einer schwarzen Maske vor den Augen, die im Radius des Kabels wie blind im Raum hin und her tappt.

„Phantom (kingdom of all the animals and all the beasts is my name)“ heißt die Arbeit, für die Daniel Steegmann Mangrané ein Stück der Mata Atlântica aufwendig gescannt hat. Der atlantische Regenwald an der Ostküste Brasiliens zählt heute zu den am stärksten bedrohten tropischen Wäldern.

Komplexes Ökosystem

Der Künstler berichtet, dass er bereits in seiner Jugend so begeistert vom komplexen Ökosystem des Amazonas-Regenwaldes gewesen sei, dass er unbedingt Biologe habe werden wollen. In seiner ersten Einzelausstellung bei Esther Schipper drehen sich nun fast alle Arbeiten um verschiedene Repräsentationen dieser einzigartige Landschaft und darum, wie sie sich auf unsere Wahrnehmung auswirken.

Mit der Brille vor den Augen kontrollieren wir zwar den Blick auf den virtuellen Wald, aber unser Körper bleibt zurück. Schauen wir nach unseren Armen, sehen wir nur Lianen und dichtes Blattwerk. Wir können wie ein Phantom gewaltige Baumstämme passieren. Es scheint, als würden wir selbst zu der wild wuchernden Landschaft gehören.

Durch den Einsatz von Virtual-Reality-Technologie treten vielschichtige Perspektiven zu Tage. Dazu zählt unsere körperliche Erfahrung, bei der es sich im weiteren Sinne auch um „die Perspektive, die der Regenwald auf uns überträgt“ handelt – ein Gefühl der Auflösung, das eng mit der Frage verknüpft ist, was mit dem Körper geschieht, wenn man eine Cyberbrille trägt. Daneben sehen wir den Wald in einer ganz bestimmten Ästhetik, die anders ausfällt als erwartet: nicht fotorealistisch farbig, sondern schwarz-weiß und nahezu grafisch. „Ich wollte kein Disney-World-Gefühl erzeugen“, erklärt Steegmann Mangrané seine Entscheidung. In Farbe hätte die Arbeit zu sehr wie ein Videospiel gewirkt. Die Bilder geben zwar den unwahrscheinlichen Pflanzenreichtum und den dichten Bewuchs wieder, durch die gewählte Ästhetik entsteht aber ein fast antiquiertes Bild. Vielleicht nicht unpassend, bedenkt man das Alter des Lebensraums und seinen bedrohten Zustand.

Letztlich zeigt die Arbeit aber auch, dass es dem spanischen Künstler, der seit 2004 in Brasilien lebt, um einen Perspektivismus im Sinne von Eduardo Viveiros de Castro geht. Dem brasilianischen Anthropologen dient der Begriff dazu, die Weltsicht der Arawaté-Indianer zu beschreiben. Er denkt duale Strukturen dynamisch, sodass Tier und Mensch in einer wechselseitigen Beziehung stehen.

Während Phantom bei der diesjährigen New Museum Triennial in New York uraufgeführt wurde, ist „Spiral Forest“ jetzt erstmals zu sehen. Die Filmarbeit zeigt den Regenwald zwar in Farbe, er wurde aber mittels einer mechanisch betriebenen Kamera mit einem speziellen Untersatz gefilmt, der während der Aufnahme auf jeder Achse 360 Grad rotier- und schwenkbar ist. Dadurch wechselt der Film ruckartig die Perspektive.

Die Orientierung wird schwammig, wenn plötzlich das grüne Dickicht aus einem unvorhersehbaren Winkel auf der Leinwand erscheint. Interessanterweise benutzte der Künstler für die Kamera eine kardanische Aufhängung, die etwa auf Schiffen Messinstrumente davon abhält, die Neigungen der Umgebung mitzumachen, während die Aufhängung nun genau das Gegenteil bewirkt.

Steegmann Mangrané scheint perspektivische Brüche zu lieben. Von Verschiebungen der Wahrnehmung handelt auch seine „Systemic Grid“-Serie. Auf dem Boden hat er in einer Ecke unterschiedlich große geometrische Spiegelelemente zu einer organisch anmutenden Form zusammengelegt. Die Zwischenräume der einzelnen Platten ergeben eine ungeordnete Gitternetz-Struktur. Seine Pfütze, wie er die Bodenarbeit aus der „Systemic Grid“-Serie nennt, demontiert auf elegante Weise die Vorstellung modernistischer Gitterstrukturen, die sich eindeutig von der Natur abgrenzen.

■ Esther Schipper, Schöneberger Ufer 65, Di.–Sa. 11–18 Uhr, bis 13. Juni