: Hermann Höllenreiner erinnert sich
Am 19. April 1945 wurde das KZ Sachsenhausen geräumt und 30.000 Menschen wurden auf den Todesmarsch geschickt. Darunter auch die Baracke, in der wir Kinder untergebracht waren. Damals war ich 11 Jahre alt.
Gute 20 Kilometer mussten wir marschieren Richtung Belower Wald. Jede paar hundert Meter sind drei oder vier erschossen worden. Die, die nicht mehr laufen konnten. Zusammen mit zwei Cousins, zwei anderen Sinti und noch einem Jungen gelang es uns, zu fliehen. Ich war der Jüngste. Ich konnte nicht mehr und blieb auf der Straße liegen. Ehemalige französische Gefangene haben mich mitgenommen und nach Frankreich gebracht.
Ich war in einem fremden Land, wo ich die Sprache nicht kannte, ohne Eltern. Man gab mir eine neue Identität, André Manot, französischer Jude. Man war gut zu mir, nur wurde mir verboten zu sagen, dass ich Deutscher bin. Als ich das Foto meines Vaters zerreißen musste, habe ich geweint. Nachts habe ich geschrien, da brachte man mich in die Kinderpsychiatrie. Diese sechs Wochen waren für mich genauso schlimm wie das KZ. Die Therapie damals waren Elektroschocks. Ich hatte die Nummer vom Konzentrationslager auf dem Arm. Meine Familie hat mich suchen lassen. So konnte ich nach zwei Jahren zurück zu meinen Eltern und meiner Schwester nach München.
Die jungen Deutschen heute können nichts für die Nazis. Die, die Hitler gewählt haben, sind die Verbrecher. Doch zu viele Nazis sind straflos davongekommen. Nur eines müssen die Jungen von heute verhindern: dass so etwas wieder kommt.
Hermann Höllenreiner, Jahrgang 1933, in Hagen geboren, ist heute Delegierter des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma. Das Buch „Mano. Der Junge, der nicht wusste, wo er war“ beruht auf seiner Lebensgeschichte.
NOTIERT VON SVENJA BEDNARCZYK