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Archiv-Artikel

Auf dem Weg ins Licht

Mark Andre ist einer der größten lebenden Komponisten der Gegenwart. Klingt pompös, stimmt aber. Der 1964 in Paris geborene Wahlberliner ist Schüler sowohl des französischen Spektralisten Gérard Grisey als auch des Instrumentalgeräuschmusikers Helmut Lachenmann. Zu sagen, dass Andres Musik eine Verbindung, Synthese oder anderweitige Mischung der Ansätze seiner Lehrer bildet, wäre vielleicht etwas zu kurz gegriffen. Doch tatsächlich findet sich in den Werken von Andre ebenso Geräuschhaftes wie bewusst gestaltete Klangfarben.

Etwa in seinem dreiteiligen Orchesterzyklus „… auf …“, dessen Titel nicht nur die Vorliebe Andres für knappe Präpositionen veranschaulicht – andere Stücke heißen schon mal „… als …“, „… in …“ oder „… zu …“, oft eingerahmt von Auslassungspunkten –, sondern auch als Ausdruck seiner Religiosität gelten kann. Mark Andre ist Katholik, das „auf“ lässt sich daher als Öffnung, vor allem jedoch im Sinne von „Auferstehung“ verstehen.

Der Musik selbst merkt man letzteres nicht sonderlich an. Umso mehr dafür das Offene. Andre komponiert scheinbar beiläufige Klang- und Geräuschgesten, unterbrochen von Momenten der Stille. Mal schlagen die Bögen hölzern-tonlos auf die Saiten der Streichinstrumente, mal werden kurz Bläserakkorde angedeutet, im dritten Teil kommen elektronische Resonanzeffekte hinzu. Wichtiger als laute Akzente scheinen ihm die Bewegungen an der Grenze der Hörbarkeit. Diese Elemente fügen sich bei Andre zu einer individuellen Poesie, die man spirituell nennen kann, ohne sich zu irgendeinem Bekenntnis genötigt zu sehen.

Deutlich stärker in der Tradition der katholischen Liturgie steht das Vokalwerk „Et Lux“ des Berlin-Karlsruher Komponisten Wolfgang Rihm. In der einstündigen Komposition für achtköpfiges Vokalensemble und Streichquartett verwendet Rihm Textfragmente aus der Requiem-Messe. So auch die Worte „Et lux perpetua luceat eis“ – „das ewige Licht möge ihnen scheinen“, wie der Wunsch für die Verstorbenen an die Adresse Gottes lautet.

Rihms Vertonung erinnert in ihrem meist ruhigen Fluss der Stimmen und Streicher an eine moderat atonale Variante „klassischer“ Sakralmusik. In diese erhaben-tröstenden Totengebete mischen sich vereinzelt zornig-klagende Ausbrüche. Der Schrecken des Todes scheint in Rihms Musik durchaus gegenwärtig, und das macht das Stück in seiner Zerrissenheit erst recht faszinierend. TIM CASPAR BOEHME

■ Mark Andre: „… auf …“ (Wergo / Codaex)

■ Wolfgang Rihm: „Et Lux“ (ECM / Universal)