piwik no script img

Archiv-Artikel

AMERICAN PIE Verschwiegene Heldentaten

BASEBALL Die Rekorde des einstigen Dopers Alex Rodriguez werden sogar von seinem Klub, den New York Yankees, ignoriert

Willie Mays und Alex Rodriguez haben einiges gemeinsam. Sie waren beide ziemlich gute Baseballspieler. Sie konnten beide ihr hohes Niveau bis in ein für Sportler gesegnetes Alter halten. Und seit dem vergangenem Wochenende stehen in ihren Statistiken jeweils 660 Homeruns in den Major Leagues zu Buche.

Willie Mays und Alex Rodriguez könnten kaum unterschiedlicher sein. Der eine ist einer der beliebtesten Figuren in der Geschichte des Profisports in den USA. Der andere ist momentan gerade denkbar umstritten. Mays, mittlerweile 83 Jahre alt, ist eine selige Erinnerung an die goldenen Jahre des Baseball, ein bescheidener Sportsmann, der noch mit 42 Jahren zum All-Star gewählt wurde. Eine Ikone aus einer Zeit, als Baseball noch unbestritten die Nummer eins in der US-amerikanischen Wahrnehmung war.

Der 39-jährige Rodriguez dagegen ist der Posterboy des sogenannten Steroid-Zeitalters, ein überbezahlter Altstar und überführter Betrüger, der schon, bevor er die gesamte vergangene Saison die längste Dopingsperre in der Baseballgeschichte abgesessen hat, als arroganter Schnösel galt. In den Zeitungen wird seither genüsslich ausgeführt, dass Spieler auch nach einer Sperre und selbst wenn sie inzwischen sauber sein sollten, noch von den Langzeiteffekten des Dopings aus der Vergangenheit profitieren.

Wenn die New York Yankees auf Reisen gehen, dann sind die Stadien, in denen sie zu Auswärtsspielen antreten, voll. Der FC Bayern des Baseball zieht traditionell die Massen an, aber in dieser Saison will das Publikum vor allem den größten Bösewicht betrachten, den der Baseballzirkus momentan zu bieten hat. Die Menschen lieben es, Alex Rodriguez auszupfeifen. Selbst als er am Freitag in Boston den 660. Homerun seiner Karriere in die oberen Sitzreihen befördert hatte, quittierte die Zuschauer im Fenway Park die historische Leistung mit einem ausgiebigen Buh-Konzert.

Bei jedem anderen wäre die Tatsache, dass er auf Platz vier der ewigen Homerun-Rangliste geklettert ist, mit Standing Ovations gefeiert worden. Jeder andere wäre vom Publikum mehrmals zurück aufs Spielfeld geklatscht worden. Aber dass Rodriguez gerade dabei ist, seinen Platz in einer auf Zahlen fixierten Baseballhistorie zu zementieren, wird nicht einmal von seinem eigenen Verein unbeschwert gewürdigt.

Die Yankees gaben sich lange große Mühe, Rodriguez’ Rekordjagd so gut es ging zu ignorieren. In ihren Pressemitteilungen vergaßen sie einerseits zwar, die Homeruns von Rodriguez zu addieren, hielten es andererseits aber für angebracht, der Welt mitzuteilen, dass ein gewisser Andre Miller nun mehr als 500 Innings als Pitcher gespielt hat – etwas, was vor ihm bereits mehreren Tausenden MLB-Profis gelungen war.

Dass die Yankees Rodriguez’ Heldentaten nicht an die große Glocke hängen, hat auch ganz profane finanzielle Gründe. In dem über zehn Jahre laufenden, 275 Millionen Dollar schweren Rekordvertrag, den Rodriguez 2007 unterschrieben hat, sind üppige, sogenannte „Marketing-Bonuszahlungen“ für statistische Meilensteine verabredet. Willie Mays einzuholen, das allein sollte schon sechs Millionen Dollar bringen.

Mittlerweile stehen die Yankees allerdings auf dem nachvollziehbaren Standpunkt, dass Rekorde, die mit Unterstützung von unerlaubten Dopingmitteln zustande kamen, nicht mehr sonderlich gut vermarktbar seien. Die Yankees, verkündete Manager Brian Cashman, hätten „das Recht, aber nicht die Verpflichtung“, die sechs Millionen zu zahlen. Rodriguez und die Spielergewerkschaft, die nun fürchtet, Verträge könnten das Papier nicht mehr wert sein, auf dem sie stehen, sehen das erwartungsgemäß anders. Nun droht möglicherweise eine weitere juristische Auseinandersetzung. Schon vor der Saison hatten die Yankees erfolglos versucht, Rodriguez’ Rückkehr zu verhindern. Nun ist er zurück, die Mannschaft – auch dank Rodriguez – überraschend erfolgreich und Willie Mays hat ungewollte Gesellschaft bekommen. THOMAS WINKLER