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Archiv-Artikel

Eine Frage der Einheit

ARBEITSKAMPF Der DGB wird 70. Zuletzt war die Einführung des Mindestlohns ein Erfolg, ansonsten steht die Gewerkschaft vor großen Herausforderungen

Ursula Engelen-Kefer

■ Die promovierte Volkswirtschaftlerin war bis 2006 stellvertretende Vorsitzende des DGB und saß bis 2009 im SPD-Vorstand. An dieser Stelle beschäftigte sie sich zuletzt im Februar mit dem gesetzlichen Mindestlohn.

Im siebten Jahrzehnt der nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland neu gegründeten Gewerkschaften geht es, wie nie zuvor, um die Zukunft von Sozialstaat und Demokratie. Dabei können sie auf beachtliche Erfolge für die Arbeitnehmer zurückblicken. Beigetragen dazu hat das 1945 durchgesetzte Prinzip der Einheitsgewerkschaft nach den bitteren Erfahrungen mit der politisch-ideologischen Spaltung und Schwächung der Gewerkschaften in der Weimarer Republik sowie ihrer Zerschlagung im Nationalsozialismus. Zu bröckeln begannen Erfolge und Einfluss des DGB allerdings seit den Erdöl- und Strukturkrisen mit steigender Arbeitslosigkeit Ende der 1970er Jahre.

Zwar konnte mit der Erholung der Wirtschaft seit 2010 die Beschäftigung erheblich erhöht und die Arbeitslosigkeit abgebaut werden. Gleichzeitig haben allerdings prekäre Beschäftigung, Niedriglöhne, Langzeitarbeitslosigkeit, Armut und die soziale Spaltung zugenommen. Dies ist ein gefährlicher Nährboden für den aufkeimenden Fremdenhass in vielfältigen Erscheinungsformen bis zu den Pegida-Demonstrationen und Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime. Umso wichtiger ist die Rückbesinnung auf das Prinzip der Einheitsgewerkschaft, um durch den gemeinsamen Einsatz für Sozialstaat und Verteilungsgerechtigkeit den Anfängen jeglicher rechtsradikaler Tendenzen zu wehren.

Bruch mit der Politik

Ein regelrechter Bruch zwischen Politik und Gewerkschaften erfolgte nach dem kurzfristigen „Hoch“ im Zuge des Wiedervereinigungsbooms mit der massenhaften Vernichtung von Arbeitsplätzen erst im Osten und dann auch im Westen. Damals gelang es dem DGB, während der Regierungsära von Bundeskanzler Kohl die machtvollste Protestaktion gegen Sozialabbau mit 360.000 Teilnehmern im Juni 1996 in Bonn zu organisieren.

Nach dem Wechsel der Bundesregierung zu Rot-Grün 1998 mit Bundeskanzler Gerhard Schröder erfolgte zunächst die „politische Rehabilitation“ des Sozialstaates, vor allem durch die Wiederherstellung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Danach kam allerdings schnell bei steigender Massenarbeitslosigkeit der Katzenjammer. Es folgten massiver Rentenabbau; eine weit überzogene Deregulierung des Arbeitsmarktes bei gleichzeitigen massiven Steuergeschenken an Wohlhabende und Konzerne. Der DGB war nicht mehr in der Lage, einen gemeinsamen Widerstand gegen diesen massiven „rot-grünen“ Sozialabbau zu organisieren. Die Unterschiede zwischen den Gewerkschaften bei ihren Interessen an der Sozialpolitik aber auch der Nähe zur SPD in der Regierungsverantwortung traten deutlich zutage. Die Protestaktionen des DGB blieben halbherzig und damit weitgehend erfolglos.

Mangelnde Gemeinsamkeit

Geschwächt wurde die Bedeutung des DGB weiterhin durch rückläufige Mitgliederzahlen und Organisationsraten. Durch Fusionen halbierte sich die Zahl der DGB-Gewerkschaften auf acht, wobei IG Metall und Verdi allein zwei Drittel der gesamten Mitglieder repräsentieren. Der negative Trend bei der Mitgliederentwicklung konnte in den letzten Jahren teilweise gestoppt und umgekehrt werden mit zunehmender Ausrichtung auf die Tarif- und Betriebspolitik in den organisationsstarken Gewerkschaftsbereichen, insbesondere der IG Metall. Der Preis ist allerdings eine Entsolidarisierung auch innerhalb der Gewerkschaften zulasten der prekär und in Niedriglöhnen Beschäftigten.

Besonders schwer tun sich die Gewerkschaften bei der Gleichstellung von Frauen in der Tarif- und Betriebspolitik, aber auch in der Sozial- und Steuerpolitik sowie vor allem in den eigenen Reihen. Allerdings gibt es hier große Unterschiede zwischen den Gewerkschaften in Industrie und Dienstleistungen. Insgesamt stellen Männer etwa zwei Drittel der Gewerkschaftsmitglieder und dominieren Inhalte, Organisation und vor allem Hierarchiestrukturen. Erhebliche Diskriminierungen bestehen nach wie vor gerade bei der tariflichen Einstufung typischer Frauentätigkeiten insbesondere in Pflege, Betreuung, Erziehung, Handel oder Gastronomie. Zwar werden über Jahrzehnte der Skandal von über 7 Millionen Minijobs sowie die steuerliche Diskriminierung durch das Ehegattensplitting beklagt, jedoch fehlt es an der Gemeinsamkeit auch in den Gewerkschaften zur Durchsetzung nachhaltiger Lösungen.

Erstarkende Sparten

Im DGB verschärft sich die Kontroverse über Tarifautonomie und Streikrecht, existenzielle Eckpfeiler der Gewerkschaftspolitik

Rechtzeitig zum Jubiläum des DGB wurde der einheitliche gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro durchgesetzt. Vorangegangen war ein jahrelanger Abwehrkampf nicht nur aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, sondern auch in den Gewerkschaften selbst. Jetzt kommt es darauf an, wieweit die Gemeinsamkeiten der Gewerkschaften reichen, die Aushöhlung des Mindestlohnes zu verhindern.

Im DGB verschärft sich die Kontroverse über die Tarifautonomie und das Streikrecht, existenzielle Eckpfeiler der Gewerkschaftspolitik. Dabei geht es um den Umgang mit den erstarkenden Spartengewerkschaften, vor allem dem Marburger Bund für die Krankenhausärzte, der Vereinigung Cockpit für die Piloten und der Gewerkschaft der Lokführer. Sie haben sich von der Großgewerkschaft Verdi und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG gelöst und in den letzten Jahren durch Streiks für besonders hohe Lohnsteigerungen und Verbesserung der Arbeitsbedingungen öffentliche Aufmerksamkeit und auch Verärgerung hervorgerufen. Die Bundesregierung will derartigen Arbeitskampfmaßnahmen durch Nutzung der strategischen Bedeutung einzelner Berufsgruppen per Gesetz einen Riegel vorschieben. Auch hierzu gibt es unterschiedliche Interessen in den Gewerkschaften. Diese Erkenntnis in gemeinsames politisches Handeln umzusetzen, erhält durch die Streiks der Lokführer zunehmende Brisanz.

Für gewerkschaftlichen Sprengstoff sorgt das jüngst abgeschlossene Kooperationsabkommen zwischen den vier Gewerkschaften der Metall- und Chemieindustrie, der Bauwirtschaft sowie der Bundesbahn zur Verhinderung von Streit bei der Mitgliederwerbung. Damit werden die Spielräume des DGB allerdings eher weiter eingeschränkt, seiner Koordinierungsfunktion nachkommen zu können. URSULA ENGELEN-KEFER