: Die Wahrheit liegt im „Venezia“
HANNOVER 96 In der familiär sich gebenden Landeshauptstadt drehen sich viele Gespräche um vergangene Größe und aktuelle Krisen
Da ist dieser Elefant. Ein Elefant aus Plastik, vielleicht 1,80 Meter groß, der ein Symbol der Hoffnung trägt: „Auf dem Elefanten liegt das Trikot mit der Nummer 8 von Altin Lala“, sagt Massimo Dall’Asta. „Und genau solche Typen fehlen uns.“ Dall’Asta betreibt das Eiscafé „Venezia“ auf dem Steintorplatz, mitten in Hannover. Wenn er „wir“ sagt, dann meint er Hannover 96. Was auch immer rund um den Verein gejubelt, getratscht und gefachsimpelt wird: Früher oder später macht es im „Venezia“ die Runde.
„Im Moment dreht sich jedes 96-Gespräch bei uns um die Abstiegsangst“, berichtet der Gastronom. Er hat, wie viele seiner Kunden auch, große Angst – und noch mehr Sehnsucht: Seit es im 96-Team an „echten Typen“ fehlt, sinkt die Stimmung. Und mit jeder weiteren Niederlage wird es schlimmer. Wenn die schwarz-weiß-grünen Fahnen auf dem Weg vom Hauptbahnhof zum Stadion im Wind flattern, gibt das derzeit einfach kein schönes, sondern ein irgendwie trauriges Bild ab.
Eigentlich ist Hannover stolz auf sich und seine eher familiäre Atmosphäre. Niedersachsens Hauptstadt hat eine überschaubare Größe, man kennt und trifft sich. Zu besseren Zeiten traf man auch die Fußballprofis. Aber die aktuelle Mannschaft macht sich angesichts ihrer großen Sorgen rar und trinkt ihren Kaffee am Nachmittag offenbar nicht mehr ganz so gern in der Öffentlichkeit. Wer hat schon Spaß daran, ständig auf 14 sieglose Partien in Folge angesprochen zu werden?
Ein 96-Spieler hat in den Eisdielen und an den Stammtischen derzeit besonders schlechte Karten: Der Spanier Joselu, als Torjäger-Hoffnung geholt, regt viele auf mit seiner Mischung aus Emotionslosigkeit und Lauffaulheit. Mancher würde Joselu wohl am liebsten selbst in Richtung Tor scheuchen.
Immerhin: Im Stadion am Maschsee gab es einen Stimmungsumschwung. Die Ultras unter den Fans mögen ihren Verein wieder – nach monatelangem Boykott. Im VIP-Bereich der Arena trifft man die üblichen Verdächtigen aus der vermeintlichen High Society, zuletzt drückten Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine Ex-Frau Doris Schröder-Köpf die Daumen.
„Die Hoffnung ist begrenzt“, sagt Dieter Schatzschneider. „Noch ist sie größer als die Angst.“ Der frühere 96-Torjäger ist heute Berater von Vereinspräsident Martin Kind und hat ein besonderes Gespür für die Stimmung rund um Fußballplätze. Ihn freut, dass der neue Trainer endlich wieder einen Hauch von Euphorie verbreitet: Michael Frontzeck durfte den erfolglosen Tayfun Korkut ablösen. Den Fans versichert Frontzeck, dass er keinerlei Angst verspüre – nicht vor Niederlagen, nicht vor dem Abstieg. Nur vor Wölfen vielleicht, denen er im Wald begegnet.
Genau über solche Sätze spricht man am Elefanten neben der Eisdiele. CHRISTIAN OTTO