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Archiv-Artikel

Die Kommune am Cosimaplatz

FEMINISMUS Die Filmemacherin Cristina Perincioli blickt in ihrem autobiografischen Buch zurück auf 1968 – und auf das, was von der Bewegung blieb

Perinciolis Buch macht Lust, mehr zu erfahren über jene bewegte Zeit

VON FABIAN TIETKE

Das fragile Miteinander der sozialen Bewegungen der späten 1960er Jahre zerbrach im Frühjahr 1970. Auf die Selbstauflösung des SDS folgten jahrelange Grabenkämpfe zwischen Mao-Begeisterten, AnhängerInnen eines orthodoxen Kommunismus‘ und einer kleinen undogmatischen Neuen Linken. Die kraftvolle Beschwingtheit früherer Jahre erhielt sich vor allem in der aufkommenden Frauenbewegung, deren Erstarken parallel zur Fragmentierung der übrigen Linken verlief. In einer eindrucksvollen Verschränkung von persönlichen Erinnerungen, Interviewausschnitten und Dokumenten betont Cristina Perincioli in ihrem Buch „ Berlin wird feministisch. Das Beste, was von der 68er Bewegung blieb“ die Bedeutung der Entstehungszeit der zweiten Frauenbewegung zwischen 1968 und 1973.

Cristina Perincioli kam 1968 für ein Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie nach Berlin. Ihr Abschlussfilm „Für Frauen – 1. Kapitel“ von 1971 ist einer der zentralen Filme für den entstehenden feministischen Film in der Bundesrepublik. Darin treten die weiblichen Angestellten eines kleinen Supermarktes in den Streik, weil der einzige männliche Angestellte besser bezahlt wird. Gegen Ende des Films laufen die Frauen untergehakt durch die Straßen Berlins, unterlegt von einem Stück von Ton Steine Scherben: „Alles verändert sich, // wenn Du es veränderst …“ Die Entstehung des Films, den Perincioli zusammen mit Frauen aus der Mieterbewegung des Märkischen Viertels entwickelte, wird im Buch ausführlich dargestellt.

1972 gründete Perincioli mit fünf Frauen die Lesbengruppe in der Homosexuellen Aktion Westberlin, 1973 das erste Frauenzentrum und die erste Frauenmediengruppe. „Berlin wird feministisch“ beschreibt die „mühsame Suche nach der für eine Frauenbewegung adäquaten Organisationsform“, zeichnet prägnant die Auseinandersetzungen über die Art und Weise der Organisation – in hierarchisch vorgeplanten Bahnen oder aus der Breite der Bewegung heraus? – und über die rückblickende Deutungshoheit nach. Gleich eingangs distanziert sich Perincioli von Darstellungen, die die sozialistische Frauenbewegung gegen die autonome Frauenbewegung ausspielen oder in vorauseilender Rücksichtnahme auf homophobe Linke die Rolle der Lesbenbewegung herunterspielen.

Solchen Ansätzen gegenüber beharrt Perincioli darauf, dass das erste Frauenzentrum in Berlin aus der Homosexuellen Aktion Westberlins heraus entstand. Zudem lässt sie Stimmen zu Wort kommen, die ungewohnte Binnenansichten der Konflikte erlauben; so schildert Ulla Naumann ihre Erfahrungen als Studentin im ersten Semester mit dem Aktionsrat zur Befreiung der Frauen: „Das waren so strenge Marxistinnen, dass einem alles verging. Die hatten dauernd Probleme mit dem Haupt- und Nebenwiderspruch – ich hatte diese Probleme nicht.“

Ausführlich setzt sich Perincioli mit den Positionen des Sozialistischen Frauenbundes Westberlin und von Frigga Haugs auseinander. Gerade hier zeigt sich eine Qualität des Buches: Wenngleich die unterschiedlichen Auffassungen teils bis heute fortbestehen, haben doch alle Gesprächspartnerinnen und Perincioli selbst genug Distanz zu ihrer Vergangenheit, um nicht jedes geschriebene Wort im Goldrahmen an die Wand zu dübeln.

Das Buch schildert eine ganze Reihe heute vergessener Kämpfe und Auseinandersetzungen aus der Perspektive der Aktivistinnen: so die Auseinandersetzungen innerhalb der Zeitschrift Agit 883, die Gründung der Frauenkommune am Cosimaplatz, die Knastgruppe des Frauenzentrums, die Frauen in der Haft betreute, oder die Frauenmediengruppe, die mittelbar aus dem Frauenfilmseminar 1973 hervorging. Es verbindet die Vorzüge eines persönlichen Erinnerungsbuches, das den großen Entwicklungserzählungen die alltägliche Bewegungsgeschichte entgegenstellt, mit denen eines Interviewbuchs, in dem vielfältige Stimmen aus ehemals unterschiedlichen Fraktionen zu Wort kommen, und denen einer Quellensammlung, die mit ihren lebendigen Dokumenten und Bildern Lust macht, mehr zu erfahren über jene bewegte Zeit.

■ Cristina Perincioli: „Berlin wird feministisch. Das Beste, was von der 68er Bewegung blieb“. Berlin, Querverlag 2015, 242 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 24,90 Euro

■ Lesung und Gespräch mit Cristina Perincioli: Schwules Museum*, Lützowstr. 73, 6. Mai, 19 Uhr