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Archiv-Artikel

Wenn auf dem Dorf der letzte Laden dichtmacht

DORFLÄDEN Mit dem Kauf von Anteilen sichern engagierte Bürger in vielen kleinen Orten die Lebensmittelversorgung. Das schafft auch Arbeitsplätze, denn rein ehrenamtlich ist ein Dorfladen kaum zu führen. Inzwischen gibt es bundesweit 200 solcher Läden. Sie helfen den Einwohnerschwund zu stoppen

Viele Dorfläden haben zunächst Probleme bei der Suche nach Lieferanten, die wegen des geringen Umsatzes abwinken. In Großmoor mussten sie acht Bäcker ansprechen, um frisches Brot und Kuchen zu bekommen

VON JOACHIM GÖRES

Resse, ein Dorf mit 2.600 Einwohnern in der Region Hannover. Wohin man blickt, fast überall Ein- und Zweifamilienhäuser. Die nächst größere Ortschaft ist zwölf Kilometer entfernt. Vor zehn Jahren machte hier die Sparkasse ihre Filiale dicht. Die Ärztin fand vor ihrem nahenden Ruhestand keinen Nachfolger. Dem Lebensmittelhändler wurde der Mietvertrag gekündigt. Ein Drittel der Bewohner sind Rentner – ohne Arzt, Laden und Bank müssten viele von ihnen bei nachlassender Mobilität wohl oder übel den Ort verlassen, in dem sie seit Jahrzehnten wohnen und in dem sie sich wohlfühlen.

„Als die Schließungen absehbar waren, haben wir 2005 den Verein ,Bürger für Resse‘ gegründet, um etwas für die Infrastruktur zu tun“, erzählt Karl-Heinz Müller, einer von zehn Gründungsmitgliedern. Heute gehören 525 Bürger dem Verein an, die sich in verschiedenen Arbeitsgruppen ehrenamtlich für ihren Ort engagieren.

Wo sich die Handelsketten keinen Profit versprechen, investieren die Bürger. Für den Bau eines Lebensmittelmarktes plus Grundstück werden 900.000 Euro kalkuliert, die eine Hälfte als Kredit, die andere als Eigenkapital. Die Idee zur Gründung einer Genossenschaft entsteht. „126 Einwohner haben Zusagen über den Kauf von einem Genossenschaftsanteil in Höhe von 3.000 Euro gegeben“, erinnert sich Müller. „Innerhalb von zwei Wochen hatten wir so 378.000 Euro beisammen.“

Der neue 700 Quadratmeter große Markt mit Backshop und Frischfleischtheke wird an einen Lebensmittelhändler vermietet. Er bietet mit 8.000 Produkten eine wesentlich größere Auswahl als der bisherige kleine Dorfladen – und wird zum Anziehungspunkt auch für die Einwohner der umliegenden Ortschaften. Bis heute liege der Umsatz über der Prognose. „Die Mieteinnahmen decken unsere laufenden Kosten“, sagt Müller.

Wie erklärt er sich das große Engagement der Einwohner? „In Resse gibt es viele ältere Hausbesitzer, deren Haus abbezahlt ist und die 3.000 Euro für die Genossenschaft übrig haben“, sagt Müller. Durch den Laden und weitere Verbesserungen wie die Ansiedlung von Ärzten seien die Grundstückspreise um 15 Prozent gestiegen.

Die Genossenschaft als Modell für Gutbetuchte? Müller nickt und betont: „Eine Genossenschaft ist ideal, weil eine Nachschusspflicht ausgeschlossen ist.“ Das sei gerade für ältere Mitglieder wichtig. Und jeder Genosse habe unabhängig von der Zahl seiner Anteile eine Stimme. Das sichere den Einfluss jedes Einzelnen.

„Wer sich mit Zeit und Geld engagiert, damit das Dorf seinen einzigen Laden behält, der macht das, damit ein Stück Lebensqualität im Ort erhalten bleibt“, sagt Günter Lühning. Er ist Vorstand des Dorfladens Otersen, einem 500-Einwohner-Ort in der Nähe von Verden. Dort war die Einwohnerzahl in den 90er-Jahren um 20 Prozent gesunken, als nach und nach die Läden aufgaben.

Inzwischen hat Otersen seinen Bevölkerungsrückgang wieder wettgemacht – nicht zuletzt durch die Gründung eines Dorfladens, an dem sich 145 Mitglieder mit Anteilen ab 250 Euro beteiligen. „Es ist wichtig, dass die Mindestsumme nicht zu hoch ist, damit viele Menschen mitmachen können“, sagt Lühning. Das erhöhe die Identifikation mit dem Laden.

Er fügt hinzu: „Auch das Warenangebot ist entscheidend.“ Nur Trockenware rechne sich nicht, da die Margen niedrig seien. Deshalb seien frische Produkte, Fleisch und Backwaren wichtig. In Otersen gehört zum Laden ein Café. Wie andere Dorfladen-Cafés ist es ein beliebter Treffpunkt im Ort – oft der einzige.

Von Otersen aus organisiert Lühning das Dorfladen-Netzwerk, dem rund 40 der bundesweit mehr als 200 Dorfläden angehören. Oft wird Lühning von engagierten Bürgern als Experte eingeladen, wenn es um die Gründung eines Dorfladens geht. Wo die Begeisterung groß ist, tritt er erstmal auf die Euphoriebremse: „Man muss allen Bürgern, die dafür Geld geben wollen, ganz klar sagen, dass das Projekt auch scheitern kann und sie dann mit ihren Einlagen haften“, sagt er. „Bei rund 100 Gründungen, von denen ich weiß, gab es sechs Schließungen.“

Der Dorfladen Großmoor in der Nähe von Celle ist die jüngste Neugründung in Niedersachsen. Nach der Schließung der Drogerie Schlecker gab es im Ort keinen Laden mehr. Weil die Einwohner Anteile kauften, konnte im vergangenen Jahr der Dorfladen eröffnet werden, der 2.400 Artikel anbietet.

Wie auch in vielen anderen Dorfläden gab es zunächst Probleme bei der Suche nach Lieferanten, die wegen des geringen Umsatzes oft abwinken. Acht Bäcker mussten angesprochen werden, bis die Versorgung mit frischem Brot und Kuchen gesichert war. Ein weiterer Vorteil für den kleinen Ort besteht darin, dass sechs Arbeitsplätze im Laden geschaffen wurden. Rein ehrenamtlich ist ein Dorfladen kaum zu führen.

Letztlich entscheidet über den Erfolg der Jahresumsatz, der Lühning zufolge bei mindestens 250.000 Euro liegen muss, damit sich das Ganze rechnet. „Man kann nicht verhindern, dass Dorfbewohner beim billigeren Discounter in der nächsten Stadt einkaufen“, sagt Lühning. „Bei unseren Netzwerk-Dorfläden entfallen im Schnitt 25 bis 30 Prozent der Einkäufe der Einwohner auf den Dorfladen.“ Wenn nur 15 Prozent erreicht würden, sei das ein schlechter Wert.