: Das Letzte läuft bis 2022
STAND DER DINGE I Brokdorf, Grohnde, Emsland – drei AKWs im Norden produzieren noch Strom und Strahlenmüll
Der Bau des AKW Brokdorf war politisch äußerst umstritten. Die erste Platzbesetzung im Oktober 1976 durch Tausende Umweltschützer wurde zum Fanal für die sich bundesweit formierende Anti-AKW-Bewegung. Weitere Großdemonstrationen im November 1976, im Februar 1977 und im Januar 1981 erzwangen einen vorübergehenden Baustopp.
Nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl vor 29 Jahren protestierten erneut Zehntausende am Bauzaun. Dennoch ging das Kraftwerk im Oktober 1986 ans Netz. Die Anlage gehört zu 80 Prozent Eon und zu 20 Prozent dem schwedischen Staatskonzern Vattenfall. Nach dem jetzigen Atomgesetz muss Brokdorf spätestens Ende 2021 abgeschaltet werden.
Auch der Bau des AKW Grohnde im Kreis Hameln-Pyrmont (Niedersachsen) war heftig umkämpft. Beim Versuch, den Bauplatz zu besetzen, wurden am 19. März 1977 Hunderte Demonstranten und Dutzende Polizisten teils schwer verletzt. Im Juli 1977 errichteten Bürgerinitiativen auf dem geplanten Kühlturmgelände bei Grohnde ein Anti-Atom-Dorf, auf dem sogar eine Hochzeit gefeiert wurde. Am 23. August rückten 1.500 Polizisten an und zerstörten die über 20 Hütten, ein Windrad, einen Backofen und den Stall für das Dorfschwein „Genscher“.
Zuletzt stand Grohnde vor allem wegen des verwendeten Stahls in der Kritik, der als anfällig für Versprödung gilt. Das AKW hat vor 30 Jahren den Betrieb aufgenommen und soll ebenfalls noch bis Ende 2021 laufen. Kürzlich kündigten zwei Anwohner an, mit Klagen ein vorzeitiges Aus zu erzwingen. Betreiber von Grohnde sind Eon und die Stadtwerke Bielefeld.
Noch ein Jahr länger als die Anlagen in Brokdorf und Grohnde darf das Atomkraftwerk Emsland im gleichnamigen niedersächsischen Landkreis laufen. Es wurde als Ersatz für das 1977 stillgelegte AKW Lingen gebaut und nahm 1988 den Leistungsbetrieb auf. Das AKW Emsland – Eigentümer ist RWE – wurde erst spät das Ziel von Protesten. Im Herbst 2014 forderten mehr als 100 Initiativen die Abschaltung des Reaktors. In Lingen gibt es außerdem eine Brennelementefabrik, die – wie die Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau – vom „Atomausstieg“ ausgenommen ist.
Drei weitere norddeutsche Atomkraftwerke wurden infolge der Fukushima-Katastrophe vor vier Jahren vorzeitig stillgelegt: Das AKW Unterweser im Kreis Wesermarsch sowie die Meiler Krümmel und Brunsbüttel in Schleswig-Holstein. Die beiden letzteren Kraftwerke waren allerdings nach etlichen Pannen und Bränden ohnehin außer Betrieb. Die Atomkonzerne haben millionenschwere Schadenersatzklagen gegen die Abschaltung eingereicht. REIMAR PAUL