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Archiv-Artikel

„Gegenbild des Gauners“

VORTRAG Ein Publizist über den Zusammenhang von deutscher Arbeitsmoral und Antisemitismus

Von JPB
Klaus Thörner

■ 51, Publizist und Sozialwissenschaftler. Er hat mitgeschrieben an dem Buch „Goldhagen und die deutsche Linke“ (Berlin 1997).

taz: Herr Thörner, was stört Sie am 1. Mai als Tag der Arbeit?

Klaus Thörner: In Deutschland ist es ein Feiertag, den Hitler verordnet hat. Wäre es ein Arbeiterkampftag, hätte ich nichts dagegen. Mir geht es um die spezifisch deutsche Arbeitsmoral, die der Tag verkörpert. Sie hat ihren Ursprung schon in den Arbeitshäusern des 16. Jahrhunderts. Dort wurden Bettler, Obdachlose und Arme inhaftiert und zur Arbeit erzogen. In Bremen gab es eines der ersten dieser Arbeitshäuser. Es entsprach der Ansicht Martin Luthers, Arbeit als eine Berufung zu sehen – obgleich mit Leid verbunden. Das entwickelte sich zu einem deutschen Arbeitswahn.

Seit der Reformation ist viel Zeit vergangen …

Ich würde es nicht als eine ungebrochene Entwicklung bezeichnen, aber der Geist zog sich durch die Jahrhunderte. Nach der Französischen Revolution etwa wurden die Gilden und Zünfte in Deutschland nicht aufgelöst, sondern der Zunftgeist blieb bestehen. In Großbritannien wurde in den Fabriken gearbeitet, um ein Produkt herzustellen, in Deutschland, um der Arbeit selbst Willen.

Was ist schlecht daran?

Damit verbunden ist ein Stolz auf die deutsche Nation, ein „made-in-germany“-Denken, ebenso wie das Gegenbild: Die deutsche Arbeit wird als „ehrlich“ identifiziert, als Handarbeit oder Fabrikarbeit. Dagegen steht das Bild des „unehrlichen“ Arbeiters, des Betrügers und Gauners – heute sind das die Banker und Spekulanten. Dass man ausgebeutet wird, wird nicht mit der Organisation von Arbeit im Kapitalismus, sondern mit dem Bereich der Banken identifiziert – eine ideologische Grundlage für den Antisemitismus.

Wie kommen Sie auf den Antisemitismus?

Bei der Parole „Arbeit macht frei“, muss man die Frage stellen, warum die über den KZs stand. Es wurde gesagt, Juden arbeiteten nicht „ehrlich“, nicht mit der Hand, sondern nur in der Geldsphäre und deshalb müsse man sie zur körperlichen Arbeit zwingen. Ich glaube, der Zusammenhang sollte erforscht werden, um zu verstehen, wie es zur Shoah kommen konnte. Interview: JPB

19 Uhr, Infoladen, St. Paulistr. 10