Kiss Kiss, Klick Klick

THEATER Rundgang auf einer virtuellen Müllhalde: Rafael Spregelburds „Spam“ an der Schaubühne

Das schöne Leben ist scheinbar nur einen Klick entfernt. Abertausende Spam-Mails rasen täglich durch das Internet, versprechen das große Glück, das große Geld, den größten Penis. Sie sind der virtuelle Spiegel der Müllberge, welche die gegenwärtige Konsumgesellschaft hinter sich anhäuft. So zumindest sieht das Rafael Spregelburd.

Die Kehrseite der Münze, auf deren Vorderseite der Wohlstand des Westens glänzt, ist ein Thema, das er in seiner Arbeit immer wieder umkreist. Spregelburd, 1970 in Buenos Aires geboren, ist als Regisseur und Schauspieler einer der wichtigsten Akteure des zeitgenössischen argentinischen Theaters. Schon vor zehn Jahren war er bei F.I.N.D., dem Festival Internationaler Neuer Dramatik, an der Schaubühne beteiligt. In seinem aktuellen Stück „Spam“ setzt er sich mit Konsumkultur, Netzrealität und den alltäglichen Irrwegen der Kommunikation auseinander.

Verpackt wird diese Mischung in einer vertrackten Abenteuergeschichte rund um einen Mann, der eines Tages ohne Erinnerungen in einem Hotelzimmer auf Malta erwacht. In 31 tagebuchartigen Szenen deckt Spregelburd auf der Bühne seine Geschichte auf. Sie handelt von einem italienischen Universitätsprofessor, der ausgestorbene Sprachen erforscht. Als er auf die Spam-Mail eines malaysischen Mädchens antwortet, das im Jargon von Google Translate um die Zahlung einer gigantischen Geldsumme fleht, beginnt eine albtraumhafte Odyssee.

Ebenso zufällig wie der Algorithmus des Übersetzungsprogramms den Sinn der Botschaft in einzelne Wortklumpen zerlegt, werden die einzelnen Episoden in „Spam“ durcheinandergeworfen. Der Plot verliert sich in einer Vielzahl von Handlungssträngen und falschen Fährten. Spregelburd tanzt, schreit, singt auf der Bühne und lockt die Zuschauer immer tiefer in ein Labyrinth aus Popkultur, Philosophie und jeder Menge Trash. Eskimos spielen darin eine Rolle und die chinesische Mafia, Caravaggio und James Bond. Angesichts des Tempos, mit dem die Geschichte immer neue Finten schlägt, ist es den Zuschauern kaum mehr möglich zu entscheiden, welche Episoden von Relevanz sind und welche schlichtweg Müll. Es ist die Hierarchie von Wikipedia und YouTube, die hier gespiegelt wird, als gigantisches Geflecht aus Informationen ohne Ordnung. Spregelburd gelingt es, die Logik des Netzes auf der Bühne erfahrbar zu machen, indem er sie ins Absurde verlängert.

Auf das Publikum wirkt dieser Schwall an Worten und Anekdoten allerdings über zweieinhalb Stunden ermüdend. Am Ende fühlt man sich ausgelaugt, als wäre man stundenlang ziellos durchs Netz gesurft.

MIRJA GABATHULER