: Teller statt Tonne
Raphael Fellmer kämpft mit foodsharing.de gegen Lebensmittelverschwendung: Ende April werden Aktive zum 4. Internationalen Foodsharing-Treffen in Berlin erwartet
■ 30. April bis 3. Mai Das 4. Internationale Treffen findet im Freizeit- und Erholungszentrum FEZ in Berlin statt. Der Eintritt ist kostenlos. Anmeldung unter: www.foodsharing.de
INTERVIEW ANNE DITTMANN
taz: Vor drei Jahren hast du foodsharing.de mitbegründet und seitdem mit anderen Foodsavern 1.300 Tonnen Lebensmittel gerettet. Wann hast du zuletzt Essen weggeworfen?
Raphael Fellmer: Heute. (lacht) Ich habe die Hälfte einer angefaulten Birne weggeschmissen. Das passiert leider fast täglich, da ich mit Esswaren zu tun habe, die vorher schon als Müll degradiert wurden. Zwei bis drei Mal in der Woche gehe ich zu einem unserer Kooperationsbetriebe und rette Lebensmittel vor der Tonne. Verdorbene Waren sortiere ich vor Ort aus, aber manchmal landet auch etwas in der Tasche, das am nächsten Tag faul ist. Wenn man frisches Obst und Gemüse kauft, halten diese meist mehrere Wochen. Vieles, was ich vor der Tonne bewahre, ist jedoch nach wenigen Tagen schlecht.
Der Durchschnittsdeutsche schmeißt jeden Monat Lebensmittel im Wert von 20 Euro weg. Warum diese Verschwendung?Das ist die Folge unserer Überflussgesellschaft. Wir sind so satt an Lebensmitteln, dass wir unser Essen nicht mehr richtig wertschätzen. Wir haben keine Vorstellung mehr davon, wie viel Zeit und Arbeit, aber auch Ressourcen in jedem Lebensmittel stecken. Die Produkte im Supermarkt werden ja nicht nur durch Maschinen hergestellt. Wir vergessen beispielsweise die Kartoffelbauern, die für den Anbau viel Mühe, Schweiß und Energie aufwenden. Durch all die Zwischenschritte vom Feld zum Gemüsestand im Discounter sind wir so entkoppelt von der Landwirtschaft, dass wir zu alldem oft keinen Bezug mehr haben.
Wie kann man den Bezug wiederherstellen und lernen, Lebensmittel zu schätzen?
Zunächst sollte man sich mit den übergeordneten Problemen auseinandersetzen: Weltweit leiden über 800 Millionen Menschen an Hunger – das ist jeder achte Erdenbewohner. Dabei werden genug Lebensmittel produziert, um das Doppelte der Weltbevölkerung satt zu kriegen. Das heißt: Ohne diese immense Verschwendung und die Unmengen an Futtermitteln für die Tierindustrie könnten wir der Natur wieder viel Raum überlassen, die Landwirtschaft zurückfahren und trotzdem müsste niemand hungern. Wer sich mit Lebensmittelverschwendung beschäftigt, wird außerdem schnell verstehen, wie wichtig eine regionale Ernährung, die solidarische Landwirtschaft und urbane Gärten sind. Wer selbst Tomaten anbaut und erntet, weiß, wie viel Arbeit dahintersteckt, und empfindet wieder mehr Wertschätzung für die Frucht. Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung ist das Teilen und Retten von Lebensmitteln, wie beim Foodsharing.
Ende April findet das 4. Internationale Foodsharing-Treffen in Berlin statt. Ein guter Anlaufpunkt für Neulinge?
Auf jeden Fall! Einerseits werden erfahrene Botschafter und Foodsaver aus dem Foodsharing-Netzwerk vor Ort sein, um sich offline auch mal persönlich zu begegnen – andererseits erwarten wir auch viele neue Gesichter, die einfach mal reinschnuppern wollen in die Welt des Lebensmittelrettens.
Unter anderem stehen Kinofilme auf dem Programm.
Genau. Wir werden „Taste the Waste“ zeigen, aber auch andere spannende Filme wie „Die Essensretter“, „Dive“, „HOME“ oder „Grundeinkommen“.
■ lebt seit 2010 im Geld- und seit 2012 im Konsumstreik. Sein Buch „Glücklich ohne Geld!“ gibt es zum kostenlosen Download unter www.raphaelfellmer.de
Worauf darf man sich noch freuen?
Es wird viele Workshops geben und Gelegenheiten zum aktiven Mitmachen: Man kann lernen, Marmelade selbst herzustellen, oder bei unserer Kräuterwanderung herausfinden, welche Pflanzen essbar sind und wie man sie verarbeiten kann. Es gibt Schnippelpartys, einen Schreibworkshop und viele Informationen darüber, wie man sich bei Foodsharing einbringen kann – als Botschafter, in der Kommunikation oder anderen ehrenamtlichen Positionen. Am ersten Abend tanzen wir zusammen in den Mai. Der Politaktivist Wam Kat und sein Team Fläming Kitchen werden mit uns zusammen wunderbares veganes Essen aus geretteten und gespendeten Lebensmitteln zaubern.
Die Teilnehmerzahl ist begrenzt. Sind noch Plätze frei?
Wir haben noch Kapazität. Der Ansturm ist wirklich groß. Ich freue mich besonders auf die Stimmung bei so vielen Menschen mit der gleichen Motivation. Das verbindet und wird der Foodsharing-Bewegung einen neuen Schub geben.