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Archiv-Artikel

Wer sind die wirklichen Primaten?

AUSSTELLUNG Sprechen Affen nicht, damit sie nicht arbeiten müssen? Sie gestalten ihr soziales Zusammenleben jedenfalls erträglicher als wir. „Kultur der Affen“ im HKW beleuchtet unser Verhältnis zu den anderen Primaten

Grenzfigur zwischen Mensch und Tier

Der Affe spielt als Grenzfigur zwischen Mensch und Tier schon seit der Antike eine zentrale Rolle im Narrativ des zivilisatorischen Fortschritts. Die Ausstellung „Ape Culture“ im Haus der Kulturen der Welt (HKW) untersucht das hegemoniale wie subversive Potenzial der Repräsentationen von Affen und reflektiert den Begriff der „Kultur“. In der Ausstellung setzen sich KünstlerInnen wie Ines Doujak, Pierre Huyghe und Klaus Weber kritisch mit den Bildern der „Menschen-Affen“ auseinander. Materialien aus Naturwissenschaften und Populärkultur zeugen zudem vom radikalen Wandel der Vorstellung unserer nächsten Verwandten. Dazu gibt es Filme, Performances, Vorträge und Artist Talks.

■ Ape Culture – Kultur der Affen, HKW, John-Foster-Dulles-Allee 10, 30. 4. bis 6. 7., 6/4 €, Eröffnung: 29. 4., 18 Uhr, Eintritt frei

VON HELMUT HÖGE

„Sprich – und ich taufe dich!“, soll der Kardinal Melchior de Polignac zum erstmalig im Jardin du Roi zur Schau gestellten Orang-Utan gesagt haben. Auch 300 Jahre nach dieser Taufofferte geht es noch darum, unsere nächsten Verwandten zum Sprechen zu bringen. Die indigene Dayakbevölkerung auf Borneo behauptet indes, dass diese von ihnen „Waldmenschen“ genannten Affen nicht sprechen, weil sie sonst arbeiten müssten. Große Fortschritte beim „Mensch-Affen-Dialog“ brachte die Einführung der amerikanischen Gebärdensprache ASL. Erlernt wurde sie allerdings nur von in Gefangenschaft lebenden Tieren.

„Derjenige, der den Pavian versteht, würde mehr zur Metaphysik beitragen als Locke“, meinte Charles Darwin 1838. Die amerikanische Primatenforscherin Shirley Strum brauchte einen jahrzehntelangen Aufenthalt unter Pavianen in Kenia, um sie einigermaßen zu verstehen. Auf einem Kongress berichtete sie, dass in ihren Horden schier permanent versucht werde, das soziale Zusammenleben erträglich zu gestalten. Und weil die Paviane dazu weitaus weniger Hilfsmittel – wie Statussymbole, Sprache, Kleidung oder Werkzeug – haben als wir, sind sie quasi Sozialprofis im Vergleich zu uns Menschen und machen das „wirklich nett“ – nicht zuletzt deswegen, „weil im Unterschied zu den Menschen keiner von ihnen über die Fähigkeit verfügt, die wichtigsten Lebensgrundlagen zu kontrollieren“, so Strum. Jeder Pavian hatte ihr zufolge sein eigenes Futter, sein eigenes Wasser, seinen eigenen Platz im Schatten und sorgte selbst für die Abdeckung seiner grundlegenden Lebensbedürfnisse. „Aggression konnte zwar als Druckmittel eingesetzt werden, stellte jedoch einen gefesselten Tiger dar.“ Die Körperpflege, Einander-Nahe-Sein, gesellschaftlicher guter Wille und Kooperation seien die einzigen Vermögenswerte, die gegenüber einem anderen Pavian als Tausch- und Druckmittel eingesetzt werden konnten. „All das waren Aspekte der ‚Nettigkeit‘ “, so Strum. „Was ich entdeckt hatte, war ein revolutionäres neues Bild der Pavian-Gesellschaft.“

Hoffen wir nun, dass die Veranstaltung und Ausstellung „Ape Culture – Kultur der Affen“ im Haus der Kulturen der Welt (HKW) uns tatsächlich Neues über diesen zwischenartlichen „Dialog“ bringt, der wohl so lange anhalten wird, bis der letzte Affe tot ist. Die vier Menschenaffen Orang-Utan, Gorilla, Schimpanse, Bonobo sind bereits gefährdete Arten. Man darf nicht vergessen, dass sie eigentlich nie etwas mit uns zu tun haben wollten – im Gegensatz zu Hunden beispielsweise. Das heißt, wenn sie etwa in einer durchschnittlichen amerikanischen Akademikerfamilie aufwachsen, mit Messer und Gabel essen lernen oder vorm Fernseher Illustrierte durchblättern, geht das allenfalls bis zur Pubertät – und der langsam gefährlich werdende Affe wird in einen Zoo oder ein Versuchslabor abgeschoben. Man kann solche zivilisierten Affen nicht auswildern, „weil das so wäre, als würde man ein zehnjähriges amerikanisches Mädchen nackt und hungrig in der Wildnis aussetzen und ihm verkünden, es werde jetzt zu seinen natürlichen Wurzeln zurückkehren“, wie die Schimpansenforscherin Jane Goodall sich einmal über ein derartiges Ansinnen empörte. Außerdem sind die unter Menschen aufgewachsenen Affen nicht mehr scheu, im Gegenteil, sodass sie jedem Affenjäger sofort freudig entgegengingen.

In der Ausstellung des HKW wird nun eine Reihe künstlerischer Arbeiten und Dokumente gezeigt, „die das Verhältnis des Menschen zu den anderen Primaten betrachten“. Dazu gehört auch die berühmte Dokumentation „Primate“ von Frederick Wiseman über das Yerkes Primate Research Center in Atlanta. Danach möchte man alle dort arbeitenden Weißkittel erschießen. Einmal suchte der Verhaltensforscher Roger Fouts etwa nach einer Unterbringung für seine schwangere Schimpansin „Washoe“, die sehr gut ASL sprach und auch Englisch verstand; dabei sah er sich auch in dem Affenforschungszentrum um; in seiner „Washoe“-Biografie schrieb er: „Wenn Yerkes human war, wollte ich nicht wissen, was ein inhumanes Labor war.“

Es geht aber auch noch widerlicher: 2012 erteilte etwa das Europäische Patentamt (EPA) der US-Firma Altor ein Patent auf einen genveränderten Schimpansen – für Medikamententests. Über den Dialog zwischen „Empathie und Objektivierung“ wird im HKW ein Künstlergespräch mit Marcus Coates und eine Performance von Ines Doujak geboten. Über den State of Science berichten Christophe Boesch, der das Affenforschungslabor in Leipzig leitet, der Viadrina-Kulturwissenschaftler Klaus Weber sowie der französische Philosoph Cord Riechelmann.