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Archiv-Artikel

MATTHIAS URBACH über DER PERFEKTE KAUF Billig Camcorder schießen

Der Kauf von Unterhaltungselektronik ist eine rituelle Handlung. Das Internet macht sie billiger, ist aber die Pest

Wir brauchten einen Camcorder. Ich stand kurz vor einer weisen Entscheidung, als meine Frau sich rüde einmischte. „Schau doch mal ins Internet, ob’s die Videokameras da billiger gibt!“ Der Kauf von Unterhaltungselektronik ist eine rituelle Handlung. Man muss Testhefte durchforsten, Kaufhäuser ausspähen und mit Verkäufern fachsimpeln. Vor allem aber muss man die Geräte anfassen, bevor man sich entscheidet.

Ich bin wahrlich kein Impulskäufer. Habe ich mich aber durchgerungen, dann will ich das Gerät sofort mitnehmen. Aber meine liebe Frau will sparen. Ich starre auf ihren mächtigen Bauch. Wie lange soll sich der Kauf denn noch verzögern? Ein Neugeborenes will gefilmt sein. Nach meinen Recherchen sollte es ein digitales Gerät mit Mini-DV-Kassetten sein. Laut Stiftung Warentest kann man mit Panasonic oder Sony nicht viel falsch machen. Im Mediamarkt verengte sich die Auswahl schnell auf zwei Geräte für nur 499 Euro: die NV-DS 60 von Panasonic und die DCR-TRV 12 von Sony. Beide solide und handlich, ohne viel Schnickschnack. Karstadt bietet die Panasonic-Kamera sogar noch 22 Euro billiger an.

Während sich die Panasonic leichter bedienen lässt, filmt die Sony wärmere Farben. Die Wahl fiel also leicht: It’s a Sony. Ich hatte die Beute vor Augen, es juckte mich schon in den Fingern. Doch nun gehe ich meiner Frau zuliebe ins Netz – und die Unsicherheit geht von vorne los: Ich weiß, welche Kaufhäuser kulant und günstig sind. Aber welchen Internet-Shops kann man trauen? Und welchen Preisvergleichsmaschinen?

Ich versuche es mit Google und suche nach „Preissuchmaschine“. Das ärmliche Ergebnis ist im Wesentlichen eine Adresse, nämlich preissuchmaschine.de. Toll. Ich gebe meine Sony-Wahl ein: Der billigste Anbieter ist ein Laden namens „electronica24“ mit 489 Euro plus 12 Euro Versand. „Die ist teurer!“ rufe ich triumphierend meiner Frau zu. War’s das? „Vielleicht fragen wir mal meinen kleinen Bruder“, ruft meine Frau zurück. „Der hat neulich sein Laptop total billig an Land gezogen.“ Nur das nicht. Ständig muss ich mir auf Familienfesten anhören, wer wieder was wo „besonders günstig geschossen“ hat.

Zwei Stunden surfe ich über windige Websites, dann habe ich eine Idee. Ich gebe „www.warentest.de“ ein. Und tatsächlich: Auf der Internetseite der Stiftung Warentest finde ich nicht nur einen Test von Preissuchmaschinen, sondern auch einen brandaktuellen Camcorder-Test, den ich für zwei Euro direkt runterlade. Die Schwestergeräte meiner Panasonic und meiner Sony sind beide „gut“ getestet. Auf den Preissuchmaschinen guenstiger.de, preistrend.de und der von Bild und T-Online finden sich allerdings auch keine günstigeren Angebote. Und: Niemand listet irgendein Kaufhaus auf. Weil das Testergebnis so gut war, gebe ich auch die Panasonic ein – und bin schockiert: Sie ist bei diversen Händlern bereits für gut 410 Euro inklusive Versand zu haben. Jetzt will meine Frau plötzlich in den Mediamarkt: „Vielleicht sind die Farben der Panasonic ja doch teintfreundlich genug!“ Sie will also die billige Kamera.

Selbst U-Boot-Kommandanten feuern ihre tödlichen Cruise-Missiles inzwischen per linke Maustaste. Nicht mal rote Knöpfe gibt es noch. Der Prozess der Entfremdung ist unaufhaltsam. Also klicke auch ich mit der Maus. Lieferzeit: 1 Woche. Wir haben 90 Euro gespart: 9 Pakete Pampers. Und wir haben den Mediamarkt böse ausgenutzt – ich fühle mich wie Florida-Rolf. Was machen wir bloß, wenn die Wehen vor dem Päckchen kommen? Das Internet ist die Pest.

Fazit: Einen guten Camcorder gibt es schon für 410 Euro. Allerdings ganz unsinnlich, per Post.

Fotohinweis: MATTHIAS URBACH DER PERFEKTE KAUF Fragen zu Camcordern? kolumne@taz.de Dienstag: Jenni Zylka über PEST & CHOLERA