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Archiv-Artikel

Alt Grrrr

ÄLTERWERDEN Die einen finden es richtig klasse. Die anderen würden es am liebsten abschaffen. Zwei jugendliche Perspektiven auf eine ständig steigende Zahl

Geil, Alter!

Ich werde alt. Geil. Endlich stehen im Bus die anderen für mich auf. Aber wehe, wenn nicht. Dann schnauz ich sie an. Ich darf das jetzt. Ich darf mich jetzt über alles aufregen, aus Prinzip behaupten, dass früher alles besser war.

Super Sache, in jedem Museum Rabatt zu bekommen. Oder Fahrkarten. Oder Theaterkarten. Ich hab zugenommen? Scheißegal. Dafür bin ich jetzt zu alt. Und der kleine Bauch steht mir auch. Endlich richtig schlecht drauf sein. Leute anschnauzen. Öfter mal Beige tragen. Namen vergessen, Schlüssel vergessen, alles vergessen. Ist jetzt voll in Ordnung. Steht mir im Alter auch zu.

Muss nicht mehr ins Büro. Im Schaukelstuhl sitzen und Pfeife rauchen, ich hab ja Zeit. Auf Trends scheißen, auf den ganzen neumodischen Mist scheißen. Auf Mittagsruhe pochen. Die Nachbarn beobachten. Und zwar Tag und Nacht. Muss ja eh nachts oft raus.

Wütende Leserbriefe schreiben. Respekt einfordern. Schließlich habe ich was geleistet. Den anderen von vergangenen Zeiten erzählen, von fossilen Brennstoffen, von der Atomkraftdebatte, die auch schon x-mal durchgekaut wurde. Endlich kann ich im Fußballstadion ein wütender Mann sein und mich über alles beschweren. Wirklich alles. Vor allem über fehlende Disziplin. Die wir natürlich noch hatten. Damals. Anders als diese Taugenichtse heute.

Ich werde mit meinen alten Freunden in Erinnerungen schwelgen. In denen alles besser war. Größer. Zum Beispiel der Fisch, den wir damals gefangen haben. Der wächst jedes Jahr noch ein paar Zentimeter. Ich kann mit meinen Mannschaftskameraden den Pickelgesichtern dabei zusehen, wie sie sich abmühen, und dabei gemütlich ein Bier trinken. Und natürlich immer wieder erzählen, wie viel fitter und fleißiger wir waren. Und wie sehr wir uns geschunden haben.

Ich kann Enten füttern, Schwäne füttern, Fische füttern und wieder Enten füttern gehen. Kein Stress. Kein Druck. Was die Zukunft bringt, ist kein Thema. Die Erwartungen der anderen interessieren mich nicht mehr. Es zählt nur noch das Jetzt. Wichtig ist nicht mehr, was andere von mir wollen, was ich tun soll. Wichtig ist, dass ich tun und lassen kann, was ich will.

Ich werde immer älter. Aufhalten kann ich das nicht. Will ich auch nicht. Ich will das Beste draus machen. Ich will das Dessert des Menüs sein.EMIL NEFZGER

Scheiße, Alter!

Ich werde älter. Scheiße! Bisher war ich immer jung. Jetzt, mit fast 25, wurde auf einmal klar: Das bleibt nicht so. Die 30 kommt. Bald. Zu bald!

Es folgten panische Zustände. Fragen, die ich immer irrational gefunden hatte, waren plötzlich allgegenwärtig: Was habe ich erreicht? Wo will ich hin? Was geht überhaupt noch, in meinem Alter? Ist die da drüben jünger als ich? Auf dem Schaufenster eines Optikers lächelte mich der Slogan „25 Jahre sind doch kein Alter!“ an. Ich nahm mir vor, das zu meinem Motto des Jahres zu machen. Es hat nicht geklappt. Wie getrieben sah ich mir Bilder von „früher“ an, nur um mich anschließend noch älter zu fühlen. Also: aktuelle Bilder, Selbsttherapie. Mich selbst annehmen war mein Ziel.

Fast täglich zählte ich die Jahre, die mir bis zur 30 noch blieben – blödsinnig, denn es kam ja ständig die gleiche Zahl raus. Beschwerden, die ich schon lange vorher hatte, empfand ich nun als bedrohlich. Ich hatte Rückenschmerzen, die Knie taten mir weh. Körperlicher Zerfall!

„Bin ich mit 30 schon alt?“, war mein meistgegoogelter Satz. Um mich zu beruhigen, las ich Einträge in Foren, über die ich sonst nur lächeln kann. „Man ist immer so alt ist, wie man sich fühlt“, stand da. Ungünstig in meinem Fall. Immerhin ergab die Googlerei: Ich bin nicht verrückt. Und auch nicht alleine.

„Quarterlife-Crisis“ nannte sich mein Leiden. Das Internet war voll davon. Ich sprach mit Freunden über das Phänomen. Die meisten litten wie ich. Unzählige Forenbeiträge später wurde mir klar, was das eigentliche Problem war: nicht ich, sondern die Erwartungen an mich.

Ein fester Job, ein abgeschlossenes Studium – Anforderungen, von denen ich glaubte, sie wären an mich gestellt, hatte ich nicht erfüllt. In den Augen anderer hatte ich „nichts für die Gesellschaft“ getan.

Ich fühlte mich, als würde mir jemand vorschreiben, was ich wann mit meinem Leben zu machen habe. Vielleicht habe ich mir dieses Gefühl auch nur selbst gegeben. Vielleicht ist Alter nur eine Zahl. Vielleicht ist Alter viel mehr als eine Zahl.

Ich bin jetzt 27. Weder will ich mich künftig dem Diktat des gesellschaftlichen Alters unterwerfen, noch glauben, alles anders machen zu müssen, nur um dem Konstrukt „Alter“ zu entkommen. Hauptsache, es ist meine Entscheidung. Ob das klappt, wird das Altern zeigen.PIA DITSCHER