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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Die Angst vor der Haftentlassung

■ betr.: Resozialisation nach dem Knast

Ich finde es einfach toll, wie Sie in Ihren Berichten auf die Missstände in den Haftanstalten aufmerksam machen. Meine Erfahrung ist es, dass die größten Probleme und Ängste darin liegen, in Freiheit wieder klarzukommen, von einer Resozialisierung oder einer Wiedereingliederung kann nicht die Rede sein. Jeder hier freut sich auf den Tag der Entlassung und auf einen Neubeginn, doch auf Hilfe darf man hier nicht hoffen. So werden die meisten einfach auf die Straße gesetzt, ohne zu wissen, wo sie hin sollen, haben keine Wohnung, wohin sie sich zurückziehen, Ruhe finden und einen Weg ins neue Leben finden können. Es interessiert niemanden, was aus ihnen wird und wie es ihnen geht, so bleibt oft nur der Weg zurück ins alte Umfeld, wo der Rückfall schon vorprogrammiert ist.

So ist es ein Kreislauf: keine Wohnung, keine Meldeadresse, keine Arbeit, keine Chance, sein Leben in den Griff zu bekommen. Auch bekommen nur sehr wenige Ausgang zur Wohnungssuche und zur Erledigung der Behördengänge, sodass es unmöglich ist, auf dem Postweg Wohnraum zu finden. Die geforderten Ansprüche der Vermieter wie Kaution, Schufa, Mietschuldenfreiheit und vieles mehr sind somit fast unmöglich zu erbringen, die Probleme werden immer größer und alle guten Vorsätze werden zunichte gemacht. Die Ängste sind dann schon größer als die Freude auf den Tag der Entlassung, der Traum von einem neuen Leben platzt wie eine Seifenblase.

Auch ich musste diese Erfahrung schon machen. In meiner vorigen Haftzeit in Berlin war ich Insassenvertreter der JVA Charlottenburg, habe dort wie auch jetzt diese Erfahrungen gesammelt und auch versucht, Hilfe zu erhalten, jedoch stieß ich auf Desinteresse oder es wurden mir vonseiten der Anstalt Steine in den Weg gelegt, die nicht zu überwinden waren. Ebenso werden soziale Bindungen zu Freundin, Frau, Familie und Bekannten nicht gefördert, sondern es wurde eher versucht, diese zu zerstören, indem Besuchstermine erschwert wurden, die Post auf eigenartige Weise ewig unterwegs war und die Telefongebühren extrem überteuert sind.

Ich muss nun noch sechs Monate hier verbringen, und von Monat zu Monat wird die Angst größer. RONNY BLIESENER, Wulkow

Verpasste Aufstiegschancen

■ betr.: „Die Männer sind nicht bedroht“, taz vom 5./6. 1. 13

Wenn Herr Ramme auf Nachfrage zu seiner Frau nur bemerkt, dass „seine Frau ihre drei Kinder betreue“ und deshalb nicht an Quote denke, fällt mir nichts mehr ein. Haben wir doch auch zwei Kinder; hat meine Frau nach einer zuvor beruflich frustrierenden Tätigkeit dann doch noch studiert und danach eine fünfjährige Weiterbildung meist abends und an Wochenenden gemacht, so haben ich und die Schwiegermutter sie dabei voll unterstützt. Als sie immer mehr volltags selbstständig arbeitete, haben wir eine Tagesmutter für die Kinderbetreuung gefunden. Ich fühle mich als geringer verdienender Ehemann nicht vom „System geschädigt“ wegen der verpassten Aufstiegschancen. Herr Ramme, warum haben Sie nicht Ihrer Frau diese Aufstiegschancen ermöglicht? ACHIM KRAUTWIG, Bensheim

Korrupte Volksvertreter

■ betr.: „Das Gesetz der Straße“, taz vom 5. 1. 13

Ein großes Gefühl der Ohnmacht lähmt mich fast, wenn ich von diesen mafiösen Strukturen in Regierungsapparaten lese, wo dubiose Beamte und Interessenten das Süppchen ÖPP/PPP kochen. Auslöffeln müssen es die, die es nicht gewünscht und immer zurückgewiesen haben. Im Dunklen und Geheimen, wo die offiziellen Gesetze nicht mehr gelten, Demokratie und Bürgerrechte ausgeschaltet sind, schieben sich korrupte Beamte und Volksvertreter Summen zu, wofür jedes Gericht sie verurteilen und zu Schadenersatz verpflichten muss. Die Methoden, kritische Leute für unfähig oder hartnäckige Finanzkontrolleure für irre zu erklären, zeichnet Systeme aus, die mit Demokratie nicht umgehen können. GERT GROPP, Gangelt

Sozialpolitischer Skandal

■ betr.: „Der Markt regelt gar nichts“, taz vom 5./6. 1. 13

In Deutschland werden jährlich über 1 Milliarde (!) Überstunden geleistet, für die es weder Bezahlung noch Freizeitausgleich gibt. Das ist ein sozialpolitischer Skandal. Teilweise wendet die Rechtsprechung völlig überzogene Kriterien zulasten der Arbeitnehmer an. Auch sind viele Klauseln in Arbeitsverträgen rechtswidrig. Den Vorschlag von Prof. Schüren finde ich einfach und praxisnah. Als Arbeitsrichter kann ich ihn nur unterstützen: Bußgelder und vor allem Gewinnabschöpfung bei Nutzung rechtswidriger Arbeitsbedingungen.

ACHIM KLUESS, Berlin

Die Gier ist grenzenlos

■ betr.: „Als Kind schon hörte er Radio Moskau“ taz vom 5. 1. 13

Ein Skandal: Der Vorzeige-Franzose Depardieu will seiner Heimat den Rücken kehren, weil ihm die Steuersätze in Frankreich zu hoch werden. Das ist ja fast so, als wenn Schummi oder Vettel ihre Steuern in der Schweiz, Boris Becker seine Steuern in Monaco, Thomas Gottschalk in Kalifornien oder sogar unsere Lichtgestalt Beckenbauer seine Steuern in Kitzbühel bezahlen würden! Seien wir ehrlich: Aus Griechenland hat das Geld von Hunderttausenden der Reichsten in den letzten Jahren das Land verlassen. Solidarische Gefühle der Reichen sind begrenzt – nur die Gier ist grenzenlos. Aber warum schläft die Politik? KURT LENNARTZ, Aachen