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Archiv-Artikel

„Mehmets Vater ausweisen“

Härtere Strafen tragen nicht dazu bei, gewalttätige Jugendliche zu bessern, sagt der Kriminologe Christian Pfeiffer. Stattdessen solle man die prügelnden Väter in Migrantenfamilien zur Räson bringen und die Schulen verändern

CHRISTIAN PFEIFFER, 63, ist Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Er ist zudem Professor für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzugsrecht an der Universität Hannover. Pfeiffer ist seit 1969 SPD-Mitglied. Von 2000 bis 2003 war er Justizminister in Niedersachsen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Viktimisierungserfahrungen, soziale Kontrolltheorien und Medienverwahrlosung.

taz: Herr Pfeiffer, verschiedene Unionspolitiker fordern härtere Strafen für gewalttätige Jugendliche. Haben sie damit Recht?

Christian Pfeiffer: Offensichtlich nicht. Im Jahre 1998 wurde die Strafandrohung für Körperverletzung massiv verschärft. Nach der Rechnung von Roland Koch hätten wir sinkende Raten von Körperverletzungen bei den 21- bis 25-Jährigen erleben müssen, aber das Gegenteil ist der Fall.

Aber wie lassen sich Jugendliche dann von Straftaten abschrecken?

Am besten über das Risiko, erwischt zu werden. Je höher das ist, desto größer ist die Chance, dass die Zahl der Straftaten sinkt. In den vergangen zehn Jahren sind die Raubdelikte jugendlicher Täter um etwa ein Fünftel zurückgegangen. Gründe dafür sind zum einen die größere Anzeigenbereitschaft und zum anderen auch die höheren Aufklärungsquoten der Polizei. Die Täter wissen, dass die Chance, Ärger zu bekommen, gestiegen ist. Dagegen hat die Härte des Strafmaßes kaum Auswirkungen. Wie überdreht die derzeitige Diskussion ist, kann man daran erkennen , dass die Strafen für Jugendliche und Erwachsene in vielen Bereichen jetzt schon die gleichen sind. Statt dieser sinnlosen Diskussionen sollten wir besser über die Ursachen für die gestiegene Zahl der Körperverletzungen reden.

So pauschal lässt sich doch von einem Ansteigen gar nicht reden. Das Problem sind doch vor allem die Großstädte, oder?

Zunächst gilt: Auch Tötungsdelikte von 14- bis 21-Jährigen haben seit 1996 um 30 Prozent abgenommen. Im Übrigen lohnt sich Differenzierung: Es gibt Städte, in denen es schlimmer wird, und solche, deren Zahlen völlig gegen diesen Trend laufen. Das haben wir untersucht, und dort, wo ausländische Jugendliche verbesserte Bildungschancen haben, sinkt ihre Gewaltquote. Beispiel: In Hannover gehen heute 30 Prozent der türkischen Jugendlichen an eine Hauptschule, vor zehn Jahren waren es 50 Prozent. Ihr Anteil an den Gymnasien und den Realschulen ist dagegen stark gestiegen. Sie treten heute deutlich seltener als Gewalttäter auf als vor 1998. Umgekehrt ist es in München, wo immer noch mehr als 60 Prozent der türkischen Jugendlichen an Hauptschulen unterrichtet werden. 1998 gingen dort noch 18 Prozent an ein Gymnasium, 2005 waren es 12,6 Prozent. Hier steigt die Zahl der türkischstämmigen Gewalttäter.

Eine typisch linke Wischiwaschi-Erklärung: Ihr müsst die Menschen nur bilden, dann werden sie sich schon bessern.

Tatsache ist aber, dass so simpel gestrickte Lösungen wie Strafverschärfungen überhaupt nichts bewirken – jedenfalls nichts Positives. Das belegt eine Studie ebenfalls aus unserem Haus. Im Jugendstrafvollzug liegt die Rückfallquote bei 80 Prozent. Die wenigen Jugendlichen, die sich tatsächlich bessern, tun dies auch aufgrund der kärglichen Chancen auf Bildung dort. Und was die Jugendlichen außerhalb des Gefängnisses betrifft, existieren neben der Bildung zwei weitere entscheidende Faktoren.

Welche?

Zum einen die Integration ausländischer Jugendlicher ins deutsche Umfeld. In Oldenburg hat sich bei den von uns untersuchten Städten die niedrigste Kriminalitätsrate türkischer Kinder ergeben – in Dortmund lag sie am höchsten. In Oldenburg waren 90 Prozent der türkischsprachigen 10-Jährigen von deutschen Mitschülern zum Geburtstag eingeladen worden, in Dortmund nur 27 Prozent. In Kanada wird das Kennenlernen in den Kindergärten systematisch gefördert, hier ist das leider reiner Zufall. Dabei ist eines offensichtlich: Wenn Mehmet im Kindergarten mit Max spielt, rücken die Welten der beiden enger zusammen. Der zweite wichtige Faktor ist die innerfamiliäre Gewalt.

Werden türkische Kinder tatsächlich mehr geschlagen als deutsche?

Leider ja. Und auch hier machen andere Länder vor, was dagegen zu tun ist. In Schweden kommt die Kinderhilfsorganisation in die Schule, bietet allen Kindern Hilfe an und sichert ihnen Anonymität zu. Die Kinder holen sich die Hilfe auch. In Deutschland ist leider auch das Zufall. An dieser Stelle bin im Übrigen auch ich für radikalere Maßnahmen – auch wenn diese natürlich vor allem symbolische Wirkung hätten. Bisher können prügelnde Väter nur dazu gezwungen werden, für sechs Monate die Familie zu verlassen – warum nicht das Land? Wenn wir nicht Mehmet ausweisen, sondern seinen Vater, würde das eine Diskussion auslösen in der Hürryet, in den Familien, in den Moscheen. Es würde zeigen, dass wir Gewalt auch gegen türkische Kinder nicht dulden.

Mit diesem Vorschlag könnte sich vielleicht sogar Roland Koch anfreunden.

In Hessen ist Wahlkampf. Wenn der vorbei ist, wird man wieder über wirklich effektive Maßnahmen reden können.

INTERVIEW: DANIEL SCHULZ