Ein selbstkritischer Europäer

Der taz-Südasien-Korrespondent Bernard Imhasly (61) geht in den Ruhestand – und kümmert sich um ein Hilfsprojekt

Er habe in seinem Leben drei Karrieren gemacht, sagt Bernard Imhasly und fügt in typischem Schweizer Understatement hinzu: „Wenn man so will.“ Denn eine Karriere schließe ja ein, dass man immer nach oben aufsteige. „Ich habe es aber immer mittendrin abgebrochen.“

Imhasly war Dozent für Linguistik an der Universität Zürich, dann Diplomat in London, Genf und Delhi – und schließlich Journalist in Indien. Als Korrespondent berichtete er 17 Jahre lang für die NZZ, die Neue Züricher Zeitung, und später auch für die taz aus der indischen Hauptstadt. „In diesem Sinne war meine längste Karriere die als Journalist“, sagt Imhasly.

Ende des Jahres ist Schluss damit. Mit 61 Jahren geht der Schweizer in den Ruhestand. Sein wechselhafter Berufsweg wurde durch Indien bestimmt oder besser: dem Wunsch, in Indien leben und arbeiten zu können. Imhasly ist nämlich seit fast vierzig Jahren mit einer Inderin verheiratet.

Seine Frau Rashna war Mitte der Sechzigerjahre mit einem Stipendium in die Schweiz gekommen. „Sie musste Deutsch lernen, und ich habe mir mein Studium mit Deutschunterricht finanziert. Sie war meine Schülerin.“ Der auch heute noch schlanke, hochgewachsene Imhasly lacht. „Es war also die berühmte Lehrer-Schüler-Beziehung.“ Nur, dass sie beide gleich alt waren. Schon mit 22 Jahren heirateten sie.

Seitdem suchte Imhasly nach einem Weg, beruflich nach Indien zu kommen. Als das über die Uni nicht klappte, bewarb er sich beim Diplomatischen Dienst. „Man denkt, da bewerben sich ganz viele, aber wir waren nur rund 40 Anwärter auf ein Dutzend Stellen.“ Die Prüfung sei nicht schwer gewesen. Ab 1978 arbeitete Imhasly als Diplomat in Genf, London und Bern, bis er 1986 Leiter der Handelsabteilung in Delhi wurde und mit seiner Frau endlich am ersehnten Ziel angekommen war. Vier Jahre später sollte er jedoch schon wieder abberufen werden – nach Riad in Saudi-Arabien. Vor allem für seine Frau und seine Tochter Anisha, die auf die deutsche Schule in Delhi ging, wäre das schwierig geworden, sagt Imhasly. Das Ehepaar entschied, in Indien zu bleiben. „Ich hatte dann erst einmal viel Zeit.“

Eines Abends besuchte er den Aschram des Swami Muktananda in Delhi. „Ich wollte ein wenig meditieren und traf dabei einen holländischen Journalisten, den ich vom Reitklub kannte.“ Keiner habe vom anderen gewusst, dass er sich auch für spirituelle Fragen interessierte. „Das war fast, als wenn sich zwei Freunde im Bordell begegnen.“ Der Holländer war Korrespondent des NRC Handelsblad aus Rotterdam und auf dem Absprung in die Heimat. Er fragte Imhasly, ob er nicht an seiner Stelle als freier Journalist für die Zeitung arbeiten wolle. Die Texte könne er auf Englisch abliefern.

„Der Journalismus war für mich immer ein Traumberuf“, sagt Imhasly. Er sei ein politisch interessierter Mensch, dazu neugierig, und er habe immer gern mit Sprache gearbeitet – seiner Meinung nach die drei wichtigsten Kriterien für einen Journalisten.

Es passierte damals, Anfang der Neunzigerjahre, viel in Indien. Das Land öffnete sich zum ersten Mal wirtschaftlich. Die Ermordung Rajiv Gandhis fiel in diese Zeit, auch die Zerstörung der Moschee in Ayodhya. Drei- bis viermal pro Woche konnte Imhasly im niederländischen Handelsblad eine Geschichte unterbringen. „Doch für einen Schweizer Journalisten ist es natürlich ein Traum, für die NZZ, die renommierteste Tageszeitung der Schweiz, zu arbeiten.“ Als deren Korrespondent Delhi verließ, bewarb sich Imhasly und bekam schließlich den Job.

Zur taz kam er ein paar Jahre später. „Die sind auf mich zugegangen.“ Die Honorare der taz, sagt er lächelnd, seien zwar nicht gerade hoch, dafür versuche die Zeitung, guten Journalismus zu machen, und habe ihn zudem immer gut betreut. Als Journalist in Indien half ihm, dass er neben Englisch auch fließend Hindi und Gujarati, die Sprache seiner Frau, beherrscht. Doch Imhasly berichtete nicht nur aus Indien, sondern auch aus der gesamten angrenzenden Region von Sri Lanka über Nepal, Pakistan bis Afghanistan.

Richtig gefährlich wurde es dabei selten. Einmal zielten in Kaschmir Rebellen mit dem Gewehren auf ihn – er überstand auch dies. In den letzten Jahren hat er sich intensiv mit Mahatma Gandhi und dessen Spuren im Indien von heute beschäftigt. Im Jahr 2006 veröffentlichte er sein Buch „Abschied von Gandhi? Eine Reise durch das neue Indien“ (Herder Verlag, Freiburg, 256 Seiten, 22,00 Euro). Sich selbst sieht Imhasly als „selbstkritischen Europäer, dessen Wahlheimat Indien geworden ist“.

Nun also der Ruhestand. Mit seiner Frau Rashna, die eine Praxis für Familien- und Paartherapie in Delhi geführt hat, wird er nach Mathuran in der Nähe von Bombay ziehen. Dieser Ort ist eine sogenannte Hillstation, ein Urlaubsort in den Bergen. Und hier unterhalten sie ein kleines Hilfsprojekt für die dort ansässigen Adivasi, die Ureinwohner Indiens. „Mir gefällt“, sagt Imhasly, „wie die Inder das Leben in vier Abschnitte aufteilen: erst das Lernen, darauf das Geld verdienen, dann die Familie und schließlich die Kontemplation.“

Bernhard Imhasly lächelt zum Abschied: „Ich hoffe, ich komme jetzt zum kontemplativen Teil meines Lebens.“

BERND HETTLAGE