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Archiv-Artikel

„Die Reformatoren übersahen Wertvolles“

Wissenschaftler der Kieler Universität schreiben ein Klosterbuch für Schleswig-Holstein. Das soll die regionale klösterliche Kunst- und Kulturgeschichte dokumentieren. Über eine schwierige Spurensuche: Gespräch mit Projektleiter Thomas Riis

THOMAS RIIS, 66, Professor für Schleswig-Holsteinische Landesgeschichte an der Universität Kiel, ist Projektleiter bei der Erstellung des Klosterbuchs für Schleswig-Holstein und Hamburg.

taz: Wie gewaltsam sind die Klöster in Schleswig-Holstein aufgelöst worden, Herr Riis?

Thomas Riis: Das hängt von den Orten ab. Die Mönche der Franziskanerklöster, auf jeden Fall in Schleswig, wurden verdrängt, in einigen Fällen auch mit Gewalt, andere Klöster durften aussterben. Die Mönche und Nonnen durften in diesem Fall bis zu ihrem Tod bleiben; der Gottesdienst folgte der evangelischen Ordnung.

Und das alles geschah unmittelbar nach der Reformation?

Man kann da nicht von der Reformation als einem Punkt in der Geschichte sprechen. Es ist ein Prozess, der sich über eine Generation hinzieht. Wenn wir mit Luthers Thesen 1517 anfangen, war die Reformation in der dänischen Monarchie erst in den 1560er Jahren abgeschlossen.

Bestand durch die relativ langsame Auflösung der Klöster im Land eine Chance, die dort gesammelten Kunst- und Kultgegenstände zu bewahren?

Einige sind erhalten. Es gibt vier Klöster in Schleswig-Holstein, die als Institutionen weiterhin bestehen durften, nämlich als Stift für adelige Damen. Das war in Schleswig, Uetersen, Itzehoe und Preetz. Dort konnte man das Inventar hinüberretten. Aber wir haben keinen Überblick, wie viel insgesamt erhalten wurde. Und das ist eine unserer Aufgaben im Projekt.

Wie gehen Sie bei dieser Arbeit praktisch vor?

Meine Mitarbeiterin Katja Hillebrand hat eine Klosterbibliographie erarbeitet, die im neuen Jahr ins Internet gestellt wird. Wir prüfen, welche Sammlungen untersucht werden müssen: Natürlich Museen und Archive, zum Beispiel das archäologische Landesamt, um zu sehen, ob es Ausgrabungsberichte gibt, ebenso die Denkmalämter. Im ersten Halbjahr 2008 wird sich ein Mitarbeiter auch um die Sammlungen in Dänemark kümmern.

Gibt es noch Ruinen oder Baureste, die Sie vor Ort untersuchen können?

In Preetz gibt es natürlich die Klosterkirche und einen Teil des Kreuzganges. Umgekehrt gibt es Klöster, von denen sich nichts erhalten hat, wie zum Beispiel der Moorkirche in Angeln.

Wie hat sich der Verlust der Klöster auf die Kulturlandschaft im Norden ausgewirkt?

Sicher hat das Fortleben der vier adeligen Damenstifte etwas bedeutet. In einigen der Hospitäler, also den Armenanstalten, begann man im 16., 17. Jahrhundert wieder mit einer fast klösterlichen Disziplin. Man musste dort mehrmals täglich zu den Stundengebeten gehen. Bestimmte Klöster waren sicher als Kulturzentren gemeint, zum Beispiel das Rudekloster bei Flensburg, dessen Überreste unter dem See liegen. Es war im 13. Jahrhundert ein Zentrum von gelehrten Studien, wo man Jahrbücher, also Geschichtswerke schrieb. Und Bordesholm war ursprünglich als Priesterseminar gedacht, die Manuskripte, die aus dem ersten Bibliotheksstandort stammen, sind hochmodern.

Hängt das wirtschaftliche Nord-Südgefälle in Deutschland auch mit dem Verschwinden der Klöster zusammen, die oft ja auch Wirtschaftszentren waren?

Das Nord-Süd-Gefälle liegt eher an den geographisch-geologischen Gegebenheiten. Norddeutschland hat keine nennenswerten Bodenschätze und die Industrien, die aus dem Bergbau stammen, kann man hier einfach nicht betreiben. Hier ist man auf Landwirtschaft, Fischfang und Forstwirtschaft und die Veredelung dieser Erzeugnisse angewiesen. Wenn man überhaupt mithalten konnte, liegt das am Fernhandel, sprich der Hanse.

In Papenburg haben Franziskanerinnen ein Konvent gegründet, in Bremen ist 2002 das Birgittenkloster geweiht worden. Gibt es eine Renaissance des Klosterlebens in Norddeutschland?

Vielleicht haben die Reformatoren damals auch etwas Wertvolles übersehen. Als das evangelische Klosterleben, wie es nach der Reformation eine Generation lang möglich war, nicht mehr fortgesetzt wurde, verlor man etwas, das im Leben der Kirche und im religiösen Leben der Menschen wertvoll war. Das entdeckt man jetzt wieder – vielleicht sieht man auch, dass die Leute ein größeres Interesse für Spiritualität haben. Auch der Jakobsweg ist schon vor Hape Kerkelings Buch wirklich zum Trend geworden – übrigens ein gutes Buch, aber das ist eine andere Sache.

INTERVIEW: FRIEDERIKE GRÄFF