: Das Leben ist Käsetoast
Erst einmal alles zerlegen und die Elemente analysieren: Leicht machen es sich die jungen Künstler nicht, die bei den 17. Berliner Tanztagen in den Sophiensælen mit Wagners Opern und windigen Videos hantieren
Was sagt uns diese Scheibe Käse, die bleich, in Großaufnahme und gleich dreifacher Projektion auf eine Scheibe Toast gelegt wird? Wie banal das Leben doch ist? Und wie mühevoll es sein kann, zwischen Frühstück und Abendbrot ein aufregendes Leben zu führen? Das wäre immerhin eine Deutungsmöglichkeit der Käsetoast-Bilder, die minutenlang die Performance „In the Silence of Fruits“ dominieren, eines von drei kurzen Stücken am Eröffnungsabend der Tanztage in den Sophiensælen.
Die Tanztage sind, seit ihrer Erfindung vor mehr als 15 Jahren, eine Plattform für junge Choreografen. Genau hier haben rätselhafte Bilder und ambitionierte Genreüberschreitungen, die für ein Austesten der richtigen Formate wohl notwendig sind, ihren Platz. Dass vieles dabei etwas angestrengt wirkt, ist nicht erstaunlich, wohl aber, dass ein Publikum nach wie vor auf diese Abende drängt. Auch diesmal saßen in den Sophiensælen wieder zwei Reihen auf Kissen am Boden, weil die Bestuhlung nicht ausreichte.
„In the Silence of Fruits“ stammt vom Häst Duo, zwei Schwedinnen, die ihre ersten 10 Bühnenminuten letztes Jahr auf den Tanztagen zeigten. In ihrer aktuellen Arbeit wirken die Körper der beiden wie marginale Partikel im Strom der Bilder auf der Leinwand. Die Bilder beginnen draußen, in der Kälte, im Wald und im Wind. Das Gefühl von Verlorenheit, das sie erzeugen, setzt sich bald in Kameraschwenks durch Haus- und Wohnungsflure fort, bis die Bilder beim Käsetoast landen. Dazu passt die Erzählung einer Englisch sprechenden Frauenstimme: wie ein unbekanntes Verlangen, das gerade, weil sein Ziel nicht zu benennen ist, quälend wurde, sie eines Tages aus dem Haus trieb.
Sara Mathiasson und Sofia Restorp robben auf dem Bauch in diese Geschichte hinein: zwei Akteure, die weit davon entfernt sind, handlungsmächtige Subjekte zu sein. Im Stroboskoplicht werfen sie sich einmal in blitzschnelle Bewegungen, sprinten und stürzen in Zickzacklinien über die Bühne, bevor sie wieder zu Robotern einfrieren. So handeln Text, Performer und Bilder auf unterschiedlichen Ebenen womöglich von der selben Sache, dem Gefühl, nicht richtig an sich selbst angeschlossen zu sein. Es steckt also viel Gedankenarbeit in dem Konstrukt, allein die Gewichtung der Elemente ist unglücklich, nur manche der Bilder gelingen.
Aber schließlich liegen die Schulabschlüsse der beiden Künstlerinnen auch noch nicht lange zurück. Sie sind wirklich jung. Das gilt für viele der 26 Künstler, die Peter Pleyer, der neue Kurator, aus 120 Bewerbungen aussuchen konnte. Dazu gehört Anna Melnikowa, 1978 geboren und aus Moskau, die nach einer Tanzausbildung dort an der Ernst-Busch-Schule hier Choreografie studiert. Ihr Stück „Thomas und Claire nach Tristan und Isolde“ ist ein Versuch, das Material der Oper neu zu lesen. So wird mit den Bewegungen des Dirigenten und der körperlichen Arbeit an den Instrumenten von der Musik, die man nicht hört, erzählt und das Vibrato der Hände am Hals eines Saiteninstrument kurzgeschlossen mit der Gefühlsspannung Isoldes, wie sie in einer Regieanweisung steht. Die Oper dehnt den Moment, hält im Singen die Zeit an: dem nähern sich die drei Spieler auf der Bühne mit obstinaten Wiederholungen, einem Gefangensein in der Zeitschlaufe. Das alles fällt aber noch sehr schüchtern aus.
Bis zum 16. Januar dauern die Tanztage, die meisten Produktionen laufen an zwei Abenden. Neu ist die Einführung eines runden Tisches, an dem die beteiligten Künstler ihre Arbeitsweisen und Produktionsstrategien diskutieren. Das ist eine Idee von Peter Pleyer, der damit einen weiteren kleinen Baustein auf dem Weg in die Professionalisierung anbietet. Letztes Jahr begleitete er die damalige Kuratorin als Scout durch die Berliner Szene; außerdem arbeitet er als Coach, der sich um die Vermittlung zwischen künstlerischen Konzepten und Produktionsmöglichkeiten kümmert. Kein schlechtes Know-how für diesen Job. KATRIN BETTINA MÜLLER
Bis 16. Januar in den Sophiensælen