: Mutter Courage des Müllprotestes
Sie haben mich allein gelassen“. Bitter klang Rosa Russo Iervolino, Bürgermeisterin von Neapel. Allein mit den Demonstranten, die am Rand der Stadt gegen die Wiedereröffnung der Müllkippe von Pianura protestierten. Allein mit ihrem Widerstand gegen die Deponie von Pianura, die für Iervolino einfach „Wahnsinn“ ist.
Dabei gehört Iervolino der gleichen Demokratischen Partei an wie Ministerpräsident Romano Prodi, wie der Präsident der Region Kampanien, Antonio Bassolino. Beide stützen den bisherigen Müllkommissar mit Sondervollmachten, Alessandro Pansa, der mit einem Federstrich die Öffnung der Deponie Pianura verfügte.
Nein, mitdemonstrieren will die Bürgermeisterin nicht – ihre Solidarität zeigte sie den Menschen von Pianura aber schon, mit für sie bisher völlig ungewohnten Tönen. Die gestandene Dame von 71 Jahren ist Vollblutpolitikerin aus der alten christdemokratischen Schule. Gleichsam ins Metier hineingewachsen – schon ihr Vater war ein führender Vertreter der Democrazia Cristiana (DC) – fiel sie in den ersten Jahren ihrer Karriere als christkonservative Hardlinerin auf. 1987 Sozialministerin geworden, sorgte sie für ein scharfes Drogengesetz, und als sie 1992 ins Schulministerium wechselte, verbot sie kurzerhand eine Aids-Aufklärungsschrift, weil die den Gymnasiasten Kondome als Mittel gegen eine HIV-Infektion ans Herz legte.
Als die DC in den frühen 90ern im Korruptionsstrudel unterging, schlug sich die resolute Politikerin auf die Seite der politischen Linken, fand ihre Heimat zunächst in der zum Prodi-Lager gehörenden Partito Popolare, dann in der 2007 gegründeten Demokratischen Partei. Russo Iervolino amtierte zuletzt von 1998 bis 2000 als Innenministerin in Italiens Kabinett, ehe sie wieder in die Kommunalpolitik wechselte. Sie kehrte in ihre Heimatstadt zurück – nach Neapel.
Mit knapp 53 Prozent wurde sie 2001 zur Bürgermeisterin gewählt, mit beachtlichen 57 Prozent dann 2006 im Amt bestätigt. Jetzt hat sie sich entschlossen, zur Mutter Courage des Müllprotests zu werden. Es gehe einfach nicht an, dass die Millionenstadt zum „Müllhaufen Kampaniens“ werde, donnerte sie mit ihrer schrillen Stimme gegen die Deponie von Pianura. Doch ein Weisungsrecht bei der Müllentsorgung habe die Stadtspitze nicht, da das Problem schon seit 14 Jahren von einem Müll-Sonderkommissar verwaltet werde.
„Ich stehe mit einem brennenden Streichholz da, das mir andere in die Hand gedrückt haben.“ Bei diesem Spiel will sie nicht mitmachen: An der Wut der Bürger von Pianura sollen sich jetzt andere die Finger verbrennen. MICHAEL BRAUN
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