wirtschaften im grenzgebiet
: Rätselhafte Kaffeegeschäfte

Er sitzt im Schaufenster wie ein Vorwurf. Die unrasierten Wangen hängen schlaff herunter. Er schaut nach draußen, schaut mich an. Ich gehe vorbei, jeden Tag, und denke jedes Mal: Ich bin nicht schuld. Und trotzdem fühle ich mich dabei ein bisschen schuldig. Da werde ich dann fast ärgerlich. Aber seine Schuld ist das ja auch nicht.

Er hat den Laden unten bei uns im Haus, so lange ich da wohne. Und ich habe erst einmal einen Kaffee zum Mitnehmen bei ihm gekauft. Er war nicht schlecht, aber ich trinke eigentlich nur ganz selten Kaffee. Ich kann ja nicht plötzlich damit anfangen, nur um unsere lokale Wirtschaft anzukurbeln. Sein Laden ist eigentlich immer leer. Seit über einem Jahr.

Es ist eine ungünstige Ecke, dieses ehemalige Grenzgebiet, das heute wieder eines ist. Hier verläuft die Grenze zwischen den beiden Ghettos Prenzlauer Berg und Wedding. Ein von Bahngleisen zerschnittenes Niemandsland, es gibt nicht mal einen Getränke Hoffmann. Der ist ein paar Straßen weiter, wo die Zivilisation langsam zu enden beginnt. Es kommen grundsätzlich nicht allzu viele Leute vorbei, und in dem spanischen Spezialitätenladen bleiben wenige von ihnen hängen. Aber er hält durch.

Meinst du, er wäscht da Geld, hat Sentja mich einmal gefragt, irgendwie muss sich das ja rechnen. Glaube ich nicht, habe ich geantwortet, das machen doch eigentlich nur italienische Mafia-Wirte und keine deutschstämmigen Besitzer von spanischen Spezialitätenläden. Er hat allerdings auch eine Tätowierung, so etwas Seemannmäßiges. Ein Anker am Arm macht noch keinen zum Geldwäscher, hat Sentja da gesagt, als wäre es meine Idee gewesen. Ich kannte mal eine Reporterin, die hatte eine Tätowierung auf der Hand. Soweit ich weiß, war die eine unbescholtene Bürgerin, wenn man so möchte. Wie gut kanntest du die denn, hat Sentja gefragt. Die konnte jedenfalls sehr gut Spanisch, sagte ich.

Man kann nicht behaupten, dass sich der Mann mit uns potenziellen Kunden keine Mühe gäbe. Er stellt Weinflaschen in Körben vor die Tür, hängt fast jeden Tag ein neues Sonderangebot in die Fensterscheibe, direkt neben die kleine Mitteilung: Sorry, keine Toilette. Vielleicht ist das auch das Problem. Meine Großmutter beispielsweise würde niemals in einen Laden gehen, der keine Toilette hat. Sie würde andererseits auch niemals in einen spanischen Spezialitätenladen gehen, dessen Besitzer aussieht wie ein tätowierter Panzerknacker aus Entenhausen. Vielleicht sollte er sich enge Stretch-Jeans anziehen und ein Rotztuch um den Hals binden, dann würde das alles etwas szeniger wirken, weniger geldwäschemäßig. Dann käme er damit unter Umständen mal in ein Stadtmagazin.

Es gab Zeiten, da dachte ich, die Anfangskrise sei überwunden, da saßen ein paar Leute und tranken Espresso mit Milchschaum oder Rotwein. Es war aber nur eine Phase. Sie ging vorüber wie der Sommer. So heißt der Laden übrigens: Verano. Auch das ist vielleicht nicht ganz kiezgemäß, Prenzlauer Berg hin, Wedding her. Er könnte sich „Wenn ich groß bin, koof ich mir Pedro Andreu“ nennen, das ist der Schlagzeuger von so einer aufgelösten, spanischen Gitarrenrockband. Oder „Bei Pedro’s“, das wäre die Wedding-Variante. Vielleicht müsste ihn mal jemand beraten. Das allerdings ist auch so eine Sache. Ich kannte mal einen ziemlich guten Sushi-Mann in Schöneberg, der hatte wenige Kunden. Eine von denen hat ihm irgendwann geraten, den Laden optisch etwas aufzuhübschen. Ein paar Wochen später sah ich den Mann alleine zwischen drei quietschbunten Wänden sitzen. Er wirkte sehr traurig.

Mittlerweile hat der Besitzer des spanischen Spezialitätenladens wenigstens einen Computer. Er schaut mich jetzt seltener an, wenn ich vorbeigehe, und häufiger auf den Bildschirm. Ich fühle mich seitdem nicht mehr so schuldig. Vielleicht sollte ich mal wieder einen Kaffee bei ihm trinken. JOHANNES GERNERT