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Archiv-Artikel

Jeans wären am besten

Wer hat Angst vor neuen Tönen? Eindrücke von einem „Casual Concert“ in der Philharmonie

VON ANDREAS HARTMANN

Das Problem bleibt: was anziehen für die Philharmonie? Der Besuch eines der gelegentlich dort stattfindenden, sogenannten Casual Concerts, die der neue Dirigent der Berliner Symphoniker, Ingo Metzmacher, eingeführt hat, erfordert einen ganz bestimmten Dresscode: etwas Lockeres, „casual“ eben, schließlich will ja niemand besser angezogen in der Philharmonie auflaufen als das Orchester selbst. Eine Jeans wäre am besten, wurde mir erzählt. Doch ich habe keine Jeans. Das stresst. Der Effekt, den Metzmacher mit seinem „Casual“-Konzept evozieren will, wie nebenbei in genau den Klamotten in der Philharmonie aufzulaufen, in denen man sonst auf ein Bier in die Eckkneipe geht, stellt sich bei mir jedenfalls so nicht ein.

Ein wenig absurd ist es ja auch schon: Da wurde uns Berlinern all die Jahre immer wieder eingebläut, dass wir uns für das Ausgehen ein wenig Mühe beim Verkleiden machen sollen, und dann soll man ausgerechnet in der Philharmonie in seinen Wohlfühlklamotten den Konzertsaal füllen. Verdrehte Welt: Auf Rockkonzerte von Bands aus Hamburg kommt man nur noch mit einem Herr-von-Eden-Anzug, zu Metzmachers Symphonikern zur Not auch in der Jogginghose.

Das Berliner Symphonieorchester gibt die „Turangalila-Symphonie“ von Olivier Messiaen zum Besten. Messiaen war einer der Lehrer von Karlheinz Stockhausen, also durchaus einer der sogenannten Neutöner. Zur selbsterklärten Aufgabe Metzmachers gehört es, den Berlinern die Angst vor der klassischen Musik des 20. Jahrhunderts zu nehmen. Eines seiner Bücher trägt den Titel „Keine Angst vor neuen Tönen“, und er hat eine CD-Reihe herausgegeben, die sich „Who is Afraid Of 20th Century Music“ nennt. Dass Metzmacher zuletzt vor allem deswegen im Gerede war, weil er den Nazikomponisten und glühenden Antisemiten Hans Pfitzner durch Neuaufführungen rehabilitierte und davon redete, das Deutsche in der Musik neu entdecken zu wollen, das soll an diesem Abend einfach mal vergessen sein.

Metzmachers Grundgedanke für seine „Casual Concerts“ scheint zu sein, dass all die Menschen, die herbeigeströmt sind, um der Symphonie von Messiaen zu lauschen, Angst vor dieser Symphonie, den Symphonikern und letztlich auch vor ihm selbst haben. Deswegen soll ihnen um jeden Preis die „Schwellenangst“ genommen werden. Die Idee, so Metzmacher, habe er aus Los Angeles importiert. Platzanweiser, viel zu teure Karten, all das, was sonst dazu beiträgt, einen Abend in der Philharmonie zu einem besonderen Ereignis zu machen, fällt weg.

„Einheitspreis“ und „Freie Platzwahl“ wird einem am Eingang stolz verkündet, was zur Folge hat, dass niemand nach Saalöffnung wie sonst üblich noch gemütlich einen überteuerten Sekt schlürft. Stattdessen stürmen alle hektisch den Saal und versuchen, die besten Plätze zu belegen.

Daraufhin bahnt sich auch nicht ganz langsam dieser große Moment an, in dem der Vorhang fällt. Nach einem letzten Hustenanfall des Publikums eröffnet der Dirigent das Spektakel – aber nicht mit großer Geste, sondern mit Erklärungen. Metzmacher performt sein Buch „Keine Angst vor neuen Tönen“, lässt Bläsersätze Teile aus Messiaens Symphonie spielen und erläutert dazu die Intentionen des französischen Komponisten und erzählt, was es mit dem Einfluss von Vogelstimmen auf dessen Kompositionen auf sich hat. Oder er lässt den Solisten Takashi Harada sein selten gehörtes bizarres Instrument Ondes Martenot vorführen, eine Art Steinzeitsynthesizer, dessen einschmeichelnde Glissandos wohl auch beim letzten Gast im Publikum die Angst vor dem Kommenden rauben sollen.

Das alles ist nett gemeint und weit weg von der Welt eines Herbert von Karajan, in der man angesichts des geballten Geniekults vor Ehrfurcht erzitterte. Doch ein wenig fehlt einem am Ende ja genau das: dieser Star-Wars-Effekt, der reine sinnliche Rausch, der sich eben nicht einstellt, wenn man vorher alles wie in der Schule vom Pauker erklärt bekommt.

Nach dem Konzert durchwandert man ein wenig die Philharmonie. Überall blickt einen Simon Rattle an, der Chef der Berliner Philharmoniker. Gerade ist man Golf gefahren, Simon Rattle aber verspricht einem die Luxuslimousine. Die Karten für seine Konzerte sind auch viel teurer. So wie es eigentlich sein soll.