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Archiv-Artikel

Techniker der Eifersucht

Das elektroakustisch verstärkte Gefühl: Mit der „Medea“ des polnischen Regisseurs Grzegorz Jarzyna kommt eine hoch gelobte Inszenierung aus Wien ins Haus der Berliner Festspiele. Mit Gazprom und Mafia sucht sie Anschluss an die Gegenwart

VON ANNE PETER

Ein beinahe sanfter Kindsmord ist es, ein Hinüberschlafen. Der Ältere sitzt auf dem Schoß der Mutter und ist skeptisch: Das da sollen Vitaminpillen sein? Er trinkt Wasser nach und torkelt noch auf sein Kinderzimmer zu. Der Jüngere sinkt einfach in Mamas Arme. In ihren Augen sind Tränen. Sie wird den Rest der Schlaftabletten später selbst einwerfen.

Das Unverständliche, Grauenerregende der Mordtat, die Euripides in seiner „Medea“ als Skandalon dem Mythos hinzuerfand, ist der Version des polnischen Regisseurs Grzegorz Jarzyna, die ins Haus der Berliner Festspiele eingeladen wurde, ausgetrieben. Denn es wird uns mit diesem Medea-Projekt des Wiener Burgtheaters (Premiere Ende 2006), das unlängst mit dem österreichischen Theaterpreis „Nestroy“ hoch dekoriert wurde, ein in seiner Wiedererkennbarkeit geradezu fernsehverdächtiges Eifersuchtsdrama erzählt.

Aufs Nahebringen und Nachvollziehen ist bei Jarzyna, der in Warschau am Theater TR Warszawa 1998 zum jüngsten Theaterdirektor Polens wurde und seit einer Bühnenadaption von „Doktor Faustus“ 1999 auch international gefragt ist, alles angelegt: Statt einer antiken Magierin steht uns eine osteuropäische Frau (laut Theaterzettel Aristokratin aus Georgien), statt des Argonautenführers ein mit Hemd und Krawatte ausgestatteter Manager gegenüber, der dem Diktiergerät etwas über „unsere russischen Partner der Gazprom“ aufspricht. Vom Auslandsjob bringt er sich Medea nebst gemeinsamen Kindern mit nach Wien, setzt sie in einem luxuriösen, aber leeren Haus ab, bestens geeignet zur Vereinsamung im Wohlstand. Entsprechend kühl-elegant ist die Ausstattung von Magda Maciejewska. Für die Reinlichhaltung des Hauses engagiert Medea bald ein junges Mädchen, das sich nach nicht allzu langer Zeit mit den üblichen Verführungstricks den Gatten angelt. Kommt einem irgendwie bekannt vor.

Diese moderne Kreusa heißt hier Justine (Mareike Sedl), erwartet den Herrn (Roland Koch) im Fahrstuhl, streckt ihm, nackt unterm Mantel, ihr ellenlang schlankes, stöckelbeschuhtes Bein entgegen … – nun, wer könnte da widerstehen? Dieser Jason jedenfalls nicht, der als stets weiterstrebender Karrierist auf das Flotter-schöner-jünger-Fräulein abfährt, dessen Vater ihm überdies ein verlockendes Angebot zu machen hat. Medea kann fortan nur hilflos zusehen, wie ihre sexy Haushaltshilfe mit dem Dampfbügeleisen provokant in Richtung Jason schnaubt.

Was mit einem stürmischen Wirbeltanz beim Betreten des neuen Heims beginnt, mit der frohlockenden Inbesitznahme eines Raumes und einer Liebe, wird nun also nur allzu schnell von der Empirie der Scheidungsstatistiken eingeholt.

Doch dem Mythos gemäß müssen in der Abfolge der jeweils durch Blacks getrennten Szenen natürlich noch einige andere, holprig verheutigte Details vorkommen, die der angepeilten Wahrscheinlichkeit eher entgegenwirken: Den Chor ersetzt ein schrullig überzeichnetes Wiener Ehepaar, das Medea von Anfang an wienerisch bös (sie) und tölpelhaft galant (er) mit Tipps und Kommentaren piesackt. Ägeus, der Medea bei Euripides Asyl gewähren will, wird hier zum Techniker Eugen, der ihr einen Internetanschluss legt und dann vor allem telefonseelsorgerisch zur Seite steht. Die Verbannung bzw. Ausweisung verkündet ihr hier ein mafiöser Schnösel, beauftragt von Justines Vater. Dazwischen werden immer wieder mal Rassismen angespielt, ohne Medea wirklich als Fremde zu akzentuieren.

Die Story wirkt arg konstruiert, zielt auf die Auflösung alles Mythischen im Realismus und bleibt doch allzu oft nur Behauptung. Umso erstaunlicher, wie Hauptdarstellerin Sylvie Rohrer der Banalisierung immer wieder entgegenspielt und mitten in das vorherrschende, eher dick auftragende Als-ob-Spiel leise Minimales setzt.

Nach Justines Vorstellungsgespräch scheinen ihre Augen plötzlich vom Schock befallen. Als kröche die Vorahnung in sie hinein, versteift sich der Blick, ihr Mund öffnet sich leicht. Ein Hauch von noch unbestimmter Furcht – und dazu ein Windrauschen aus der Technik, das von nun an jeden Anflug von Eifersucht begleiten wird.

Überhaupt unterlegt Jarzyna nahezu alles mit waberndem Elektrosound oder laut gedrehten Songs, als müsse man der Emotion auf diesem Wege noch nachhelfen. Dabei brauchte Rohrers allmähliches Hochspielen der Verzweiflung das gar nicht. Die ist greifbar, wenn sie sich nach Jasons lapidarem Klischeeabgang („Ich gehe. Es ist nicht, wie du denkst“) in die Kissen wirft und wühlt. Oder wenn sie der Schmerz bis in die wilden Locken hinein durchschüttelt. Ihre Darstellung wirkt fast zu subtil für die auf Biegen oder Brechen aktualisierte Story – die Heimholung des mythischen Stoffes in ein allzu vertrautes, verständliches Heute.

„Medea“. Wieder im Haus der Berliner Festspiele am 12. Januar, 20 Uhr, und am 13. Januar, 14 Uhr