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Archiv-Artikel

Peak Oil wird uns Beine machen

Der Ölpreis knackt die 100-Dollar-Marke – und das Aroma der Endlichkeit breitet sich auch in den Vorstandsetagen der Ölkonzerne aus. Das kollektive Leugnen hat ein Ende

Natürlich haben wir noch Öl für Jahrzehnte. Aber was wird es kosten? Und wer bekommt es?

„Earth first, we’ll drill the other planets later!“

Schlusswort des Geologen Jeremy Gilbert auf der Peak-Oil-Konferenz 2007 in Houston

Da hat Claudia Kemfert, die omnipräsente Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, ordentlich eins auf die Mütze bekommen. Die Wissenschaftlerin hatte Ungeheuerliches zu Protokoll gegeben: Der Ölpreis werde weiter steigen, erklärte sie ungerührt nach dem 100-Dollar-Schock, „weil die Ölvorräte zunehmend knapp werden“. Schon in fünf Jahren werde das Barrel 150, in zehn Jahren 200 Dollar kosten. Ihr Extrabonbon für Autofahrer: Der Preis pro Liter Sprit könnte auf 4 Euro klettern, wenn die Dollarschwäche vorübergeht. Mit solchen Prognosen macht man sich in der Autorepublik Deutschland wenig Freunde. Der Spiegel sah einen schweren Fall von Horrorvision, und der Wirtschaftsweise Wolfgang Wiegard bellte, dies sei die „gehobene Form der Kaffeesatzleserei“. Wiegard war zuletzt mit der Weisheit aufgefallen, dass wir für dieses Jahrhundert genug Öl und Gas in der Pipeline haben.

Dass Kemfert recht hat, ist keine Frage, ihre Schätzungen sind noch moderat. Dass sich das DIW aber aus der Deckung traut und die Zukunft des weltweit wichtigsten Energieträgers ungeschönt analysiert, ist das eigentlich Erstaunliche. Kemfert ist nicht die Einzige. Auch bei Ölkonzernen und Opec ist seit einigen Monaten eine neue Tonlage herauszuhören, der Zustand kollektiven Leugnens der Probleme geht zu Ende. Das Aroma der Endlichkeit breitet sich aus. Christophe de Margerie, Chef des weltweit drittgrößten Ölkonzerns Total, hat kürzlich alle Prognosen zur Ölförderung komplett über den Haufen geworfen. „Wir können froh sein, wenn wir überhaupt jemals 100 Millionen Barrel schaffen.“ Derzeit werden weltweit täglich 86 Millionen Barrel gefördert – und verbraucht! Skeptiker sehen die Grenze bei maximal 90 bis 95 Millionen Barrel.

Selbst ein Ölmann wie Margerie glaubt nicht mehr ans große Wachstum. Nur: Wie kann dann der globale Tank gefüllt werden, wenn die Nachfrage nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur bis 2030 auf 120 Millionen Barrel zulegen soll? Diese gewaltige Lücke ist nicht mehr zu schließen, zumal alle Förderländer schon jetzt am Limit pumpen und neue, wirklich große Ölfelder seit Jahren nicht mehr entdeckt werden. Die Spitze der Ölfunde wurde 1965 (!) erreicht. Um der jährlich um 2 Prozent steigenden Nachfrage zu genügen, brauchte die Welt drei weitere Saudi-Arabien. Sie hat aber nur eines, das über die weltweit größten Ölreserven verfügt. Auf diesem, von einem Familienclan diktatorisch regierten Land, das alle möglichen Terrorgruppen finanziert, ruhen alle Hoffnungen des Westens, aus dem Bauch der Erde noch schneller noch mehr Öl zu holen.

Dass diese Hoffnung illusorisch ist, dafür gibt es immer mehr Indizien. Niemand anders als Saddad al Husseini, ehemaliger Chef des staatlichen saudischen Ölkonzerns Aramco, warnte im November beim Londoner Meeting der Ölindustrie vor den „verwirrenden und aufgeblasenen Zahlen“ über die weltweiten Ölreserven, die durch die Medien vagabundieren. Entscheidend sind zudem nicht die Reserven, sondern ist die Förderung. Und die ist kaum noch steigerbar. Ölfelder sind keine Seen, die man in beliebigem Tempo leer pumpen könnte. Ihre Ausbeutung ist schwierig, sie muss, um die geologische Struktur nicht zu beschädigen, langsam erfolgen, und der Output sinkt naturgesetzlich mit den Jahren. Je leerer die Lagerstätten, desto aufwendiger, teurer und langsamer die Gewinnung. 90 Prozent des saudischen Öls stammen aus Feldern, die seit mehr als 45 Jahren ausgebeutet werden.

Die Erdöldebatte wurde viel zu lange aus der Perspektive des letzten Tropfens geführt. Bis wann reicht das Öl?, wurde gefragt, und mit diesem Denkfehler im Hinterkopf stellte man sich einen Tankwart vor, dem im Jahre 2089 an der Autobahnraststätte Kamener Kreuz der Saft ausgeht. Ciao, Ölzeitalter! Heute ergeben sich ganz andere Fragen: Kommen die Ölförderländer der steigenden Nachfrage noch hinterher? Was machen die Preise? Und wann bricht eigentlich Panik aus? Natürlich haben wir noch Öl für Jahrzehnte. Aber was wird es kosten? Und wer bekommt es? Der indische Hersteller Tata Motors will jetzt ein Billigauto für umgerechnet 1.700 Euro auf den Markt werfen. Was geschieht, wenn diese Kiste Erfolg hat? Schon jetzt meldet Indien beim Ölverbrauch eine beängstigende Zuwachsrate von 10,2 Prozent. Auch China und Südkorea glänzen mit kräftig steigendem Ölkonsum auf ihrem Weg zum westlichen Lebensstil. Man darf darüber spekulieren, wann die galoppierenden Spritkosten den asiatischen Autoboom abbremsen.

Bis Ende 2006 wurden weltweit seit Beginn der industriellen Förderung 147 Gigatonnen konventionelles Erdöl gewonnen – die Hälfte davon in den letzten 22 Jahren. Die schon geförderte Menge ist damit fast genauso groß wie die ausgewiesenen Reserven. Der mid-point oder peak der weltweiten Förderung ist also fast erreicht. Nach diesem Höhepunkt wird die Fördermenge unweigerlich sinken, wobei die Schätzungen von jährlich minus 2 bis zu minus 6 Prozent reichen. Ob dieser Rückgang schon 2008 oder erst 2012 kommt, ist nicht entscheidend. Die Weltgemeinschaft ist in jedem Fall unvorbereitet. Je länger man über die Situation nachdenkt, desto hässlicher erscheinen die Perspektiven.

Hinzu kommt, dass wir Ölkonsumenten selbstverständlich vom Wohlverhalten der Förderländer ausgehen. Die sollen gefälligst pumpen und exportieren, bis die Rohre glühen. Doch irgendwann kommt der Zeitpunkt, zu dem die Förderländer vorrangig eigene und befreundete Nationen bedienen, zu dem sie Exportquoten nach politischem Opportunismus zuteilen. Irgendwann werden sie sich gegen maximale Förderkapazitäten wehren und einen Gang zurückschalten, um ihre wertvollen Ressourcen länger zu behalten.

Wie ein gebanntes Kaninchen auf den Zeitpunkt des Peaks und den danach einsetzenden Rückgang der Förderung zu starren ist inzwischen auch unter den Anhängern der Peak-Oil-Bewegung umstritten. Die gegenwärtige Entwicklung zeigt eindrucksvoll, dass auch schon vor dem Peak eine kritische Situation mit Preisexplosionen möglich ist. Vielleicht kann die Förderung 2008 und 2009 tatsächlich noch einmal um einen halben Prozentpunkt erhöht werden. Wenn die Nachfrage aber um jährlich 2 Prozent zulegt, werden die Preise nur eine Richtung kennen: stramm nach oben.

Ölfelder sind keine Seen, die man in beliebigem Tempo leer pumpen könnte

Und der Ausweg? Die Strategie „Weg vom Öl“ braucht vor allem Zeit. Aber die explodierenden Ölpreise werden gleichzeitig den Verbrauch drosseln und neue Spielräume schaffen. Das Effizienzpotenzial ist angesichts einer US-amerikanischen Autoflotte, die im Schnitt 12 Liter Sprit verbraucht, riesig. Peak-Oil wird uns allen Beine machen.

MANFRED KRIENER

Fotohinweis:Manfred Kriener, 53, ist freier Journalist und Autor in Berlin, vor allem für Umwelt- und Verbraucherthemen. Zuletzt outete sich der langjährige Ökologieredakteur der taz an dieser Stelle als Fahrer eines pistaziengrünen Smart for Two.